Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

DOI article:
Schaefer, Karl: Der Lübecker Maler Hans Kemmer: Ein Beitrag zur Geschichte der Cranach-Schule
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0016
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
macht den Eindruck besonders starker Abhängigkeit von Cranach; er kann daher
wohl das Werk eines noch nicht Dreißigjährigen sein. Kemmer brachte die etwas
veräußerlichte, aber von allem kleinlichen Beiwerk befreite, großlinig und stolz
wirkende Auffassung der neuen Zeit nach Lübeck, die sich schon in der Größe des
Figurenmaßstabs kundgibt; dazu verfügte er über eine feine Kenntnis des neuen
Ornamentschatzes der Frührenaissance. So wird ihm der Olafaltar Ansehen und
den Ruf moderner Kunstgesinnung eingetragen haben. Vieles, was er für Lübecker
Kirchen und für auswärtige Auftraggeber gemalt hat, ist sicher zugrunde ge-
gangen. Erhalten ist erst von 1530 das Gemälde von Christus und der Ehe-
brecherin, das H. Wiggerinck doch wohl nicht für seine Wohnung, sondern für
eine der Lübecker Kirchen oder Stiftungen bestellt haben wird. Das folgende
Jahrzehnt, in dem wir Kemmer als wohlhabenden Hausbesitzer mit seiner Familie
in Lübeck seßhaft finden, brachte kaum noch Aufträge kirchlicher Art; Altargemälde
zu schaffen gab es nicht mehr. Bei der ausgesprochenen Begabung, die er,
wiederum wohl aus Cranachs Werkstatt, für das Bildnis mitbrachte, ist es wahr-
scheinlich, daß Kemmer sich mit diesem ein dankbares Feld seiner Arbeit erhalten
hat. Von 1534 stammt das Leipziger Frauenbildnis, und unter den im Rathaus und
in der Stadtbibliothek Lübecks aufbewahrten Bildnisgemälden aus den beiden Jahr-
zehnten nach 1522 ließen sich wahrscheinlich noch eine Anzahl für Kemmer in
Anspruch nehmen, wenn sie nicht durch mehrfaches Restaurieren und durch die
Schäden ihres Alters so stark beeinträchtigt wären. Ich nenne in diesem Sinne
die lebensgroßen Brustbilder des 1527 verstorbenen Bürgermeisters Thomas von
Wickede und des Ratsherrn Gotthard von Höveln im Wandelgang des Rathauses
und etwa das Brustbild des weißhaarigen Reformators Joh. Bugenhagen in der
Bibliothek. Ob das ebendort aufbewahrte durch seine realistische Auffassung wie
durch die Einfachheit seines starken Ausdrucks auffallende Bild des ersten Lü-
becker Superintendenten Herm. Bonnus auf dem Sterbebette von 1548 am Ende
noch mit Kemmers Namen als sein letztes Werk in Zusammenhang gebracht
werden darf, wage ich nicht zu entscheiden.
Bei der ausgesprochenen ornamentalen Begabung, die der Meister 1522—24 auf
den Rahmen der beiden Außenflügel am Olafaltar an den Tag legt, und die sich
noch 1540 als Freude an zierlicher Zeichenkunst und dekorativer Erfindung an dem
Kruselmannschen „Hochzeitsteller" offenbart, liegt es nahe, Umschau zu halten, ob
neben den Gemälden etwa auch dekorative Arbeiten von seiner Hand erhalten
sind. So könnte ein Cranachschüler von dieser Anlage sehr wohl für den Buch-
schmuck gearbeitet haben. Da seit dem Ende Steffen Arndes nun der Lübecker
Buchdruck plötzlich stockt und bis zu Ludwig Dietz' schöner Bibel von 1534 nur
sehr wenige und in den Titelblättern und der übrigen Ausstattung nur recht dürf-
tige Gelegenheitsdrucke herausgegeben hat, so überzeugt man sich leicht davon,
daß hier ein wesentliches Gebiet von Kemmers Tätigkeit nicht gesucht werden darf.
Auf der schönsten Höhe seines Könnens finden wir Cranach in den Jahren 1504
bis 1510 von der Ruhe auf der Flucht im Berliner Museum bis zu dem Torgauer
Triptychon der Sippe bei Staedel. Seit 1510 muß die. Zahl der jungen Leute, die
— verständlicherweise besonders aus Nord- und Mitteldeutschland — nach Witten-
berg kamen, um in seiner Werkstatt mitzuarbeiten und zu lernen, sehr groß ge-
wesen sein. In Lübeck sind um dieselbe Zeit nicht weniger als drei Cranach-
schüler tätig: neben Kemmer der Maler des Laurentiusaltars von 1522, den die
Brauerknechte in die Burgkirche stifteten, und der zum alten Besitz des Museums
gehört, und vor ihm schon Claus Berg, von dessen Malerei allerdings nur noch

6
 
Annotationen