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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Mâle, Emile: Studien über die deutsche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0056

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erbaut: die Kirche von St. Denis. Damit hebt das Zeitalter der Kathedralen an;
von 1140 bis zu den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts entstehen nach und nach
Sens, Noyon, Senlis, Laon, Notre Dame von Paris, Chartres. Es entspinnt sich eine
wundersame Geschäftigkeit, und jedes neue Werk kommt einem Fortschritt gleich.
Deutschland befand sich damals im romanischen Zeitalter, es wagte kaum, hier
oder dort einige Kreuzwölbungen zu bringen. Fast bis zum Ende des Jahrhunderts
blieb ihm die sich bei uns vollziehende Umwälzung fremd; bald jedoch wurde es
auch von der großen gotischen Welle erfaßt.
Die Deutschen haben versucht, in uns den Glauben zu erwecken, daß das Elsaß
des Mittelalters nach der deutschen Seite hin orientiert sei und daß die Vogesen
zwischen ihnen und uns eine unübersteigliche Grenze bildeten. Aber davon ist
keine Rede. Das Elsaß hat das Kreuzgewölbe vor Deutschland gekannt. Die ältesten
dieser Kreuzgewölbe finden sich in der Kirche von Murbach, zwar halb zerstört,
aber immer noch prachtvoll in ihrer Einsamkeit. Die großartige Abtei Murbach
des Cluny-Ordens hat mehr als einen cluniacensischen Zug in ihrer Architektur
bewahrt. Sie wurde im Jahre 1150 erbaut und bald darauf erhielt sie auf dem Chor
und dem Querschiff gekreuzte Spitzbögen noch sehr archaisch anzusehen und ohne
Bogenansatz. Woher hatte sie diese neue Erfindung? Sicherlich aus Burgund,
mit dem sie so viele Fäden verknüpften. Wenige Jahre später zeigte sich das
Kreuzgewölbe im Kirchenschiff von Saint-Jean bei Zabern und auch in dem von
Rosheim bei Straßburg. Es sind beides romanische Kirchen, welche, die erste um
1160, die andere um 1180, gotische Gewölbe erhielten.
So näherte sich das Kreuzgewölbe dem Rhein. Es erreichte ihn aber erst am
Ende des Jahrhunderts. Nach dem Brande im Jahr 1191 wurde der bis dahin mit
Holz gedeckte Mainzer Dom mit einem Kreuzgewölbe nach französischer Art,
versehen. Das Kreuzgewölbe scheint eigens für seine ausgedehnte Empore ge-
schaffen zu sein. Um 1200 herum folgte Worms und einige Jahre später Bonn
dem Beispiel von Mainz. So sieht man, daß Frankreich zum Bau der rheinischen
Kathedralen den letzten Stein herbeitrug.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts erreichte die neue Idee, die nur langsam den
Rhein hinabzugleiten schien, Köln. Seine romanischen Kirchen waren noch sehr
unvollständig, da sie keine Gewölbe trugen. Das Kreuzgewölbe führte nun ihre
Vollendung herbei. Im Jahre 1219 erhielt die Heilige Apostelkirche, bald darauf
die Heilige Maria vom Kapitol und Sankt Cunibert, für ihre großen Schiffe fran-
zösische Gewölbe zu sechs Feldern, welche man sechsfächerige Gewölbe nennt.
Das anscheinend aus der Normandie stammende sechsfächerige Gewölbe wird
nicht von nur zwei, sondern von drei Kreuzgewölbebogen gebildet, die sich an
derselben Stelle überschneiden: auf diese Weise erfolgt die Gliederung des Ge-
wölbes in sechs, statt in vier Felder. Ebenso sind die Gewölbe des großen Schiffes
von Notre Dame in Paris. Im 12. Jahrhundert fand das sechsfächerige Gewölbe
Verwendung in allen unseren gotischen Schulen. Man begegnet ihm in der Nor-
mandie, in der Ile-de-France, in der Champagne. Es läßt sich daher nicht feststellen,
welche von unseren Provinzen sie zur Kenntnis der Kölner Architekten gebracht hat.
So kam also das Kreuzgewölbe erst um 1200 nach Deutschland.
III.
Bis dahin haben wir nicht nachweisen können aus welchem Teil Frankreichs die
von Deutschland nachgeahmten Modelle hervorgingen, nunmehr soll das Rätsel
gelöst werden.

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