weiß nun nicht genau, welche Vorstellung von einer Novelle und ihrer schönen
Gliederung Wickhoff gehabt hat; darum will ich das Wort ihm gerne lassen stahn.
Aber das weiß ich, daß die Giottostelie des Anonimo einer Boccaccioschen Novelle
sehr unähnlich sieht. Sie ist von derselben trockenen Gelehrtenstrenge, wie der
Cimabueabsatz auch. Jedem Leser ist sie zur Hand, denn Milanesi hat sie in seiner
Vasariausgabe (I, 371) wortwörtlich mitgeteilt, und da ich hoffen darf, daß auch
der Decamerone bei keinem noch so methodisch arbeitenden Kunsthistoriker fehlt,
so brauche ich mich bei dem Vergleich nicht aufzuhalten. Ich will überhaupt
nicht weiter vom Stile sprechen, sondern nur kurz mitteilen, was die angebliche
Novelle enthält.
Ein interessanter Zufall will, daß gleich der Cimabuestelle auch die über Giotto
mit der Schärfe des Messers in fünf Teile zerlegt werden kann. Satz 1: Wie
Cimabue auch Giotto ein großer Maler in Florenz, dessen Ruhm durch ganz Italien
läuft. Satz 2: Eine Anekdote: Wie Giotto der Schüler Cimabues ward. Satz 3:
Giottos steigendes Ansehn; viele Werke von ihm in Florenz, Rom, Neapel, Bologna.
Satz 4: Eine Anekdote zum Beweis für Giottos Schlagfertigkeit. Satz 5: Giotto
der Schöpfer des Campanile von Sta. Reparata; dabei beging er Fehler, an deren
Erkenntnis er gestorben sein soll. Was ist nun von diesem Bericht zu halten?
Ich weiß nicht, von welchen Maximen die Vorsteher des historischen Instituts an
der Universität Wien erleuchtet sind, aber zu Basel im kunsthistorischen Seminar
würde zuerst folgende Konstatierung gemacht werden. Der Autor der Stelle mischt
Bericht und Anekdote, er tut das aber nicht auf eine poetische, sondern auf eine
kritische Art, indem er, während er die Nachrichten in absoluten Sätzen bringt,
seine Anekdoten jedesmal mit dem, alle Verantwortung ablehnenden Worte dicesi
einführt. Der Anonimo verbürgt sich weder für das, was er über Giottos Eintritt
bei Cimabue erzählt, noch für das Witzwort von Bologna, noch für den Tod
Giottos an gebrochenem Künstlerherzen. Es hinge ja gar nicht viel davon ab, ob
diese Erzählungen für wahr hingenommen würden oder nicht, aber der Kommen-
tator will Ordnung und Sauberkeit, er will wissenschaftliche Wahrheit. Je schärfer
er aber die Anekdote vom Bericht scheidet, desto höheren Kredit verdient er in
den Punkten, die er als wirkliche Tatsachen mitteilt. Zu ihnen gehört die Schüler-
schaft Giottos bei Cimabue, die Wickhoff sorglos genug in der Klage über die auch
vom Anonimo nicht ganz ernst genommene Legende von den näheren Umständen
des Eintritts Giottos bei dem älteren Meister untergehen ließ.
Aber warum erzählt der Anonymus die unverbürgten Begebenheiten überhaupt?
Aus einem einfachen Grunde: Er sagt alles, was er über die bei Dante vorkom-
menden Namen weiß und er hätte gar nicht geglaubt, Giotto richtig zu kennzeichnen,
wenn er ihn nicht in jenem Mantel der Legende vorgeführt hätte, den der große
Künstler seiner echten, d. h. volkstümlichen Zelebrität verdankte. Aber er tut es
mit der Zurückhaltung, an der man einen echten Historiker erkennt.
Ganz unbegründet ist Wickhoffs Spott über den letzten Satz, in dem vom Cam-
panile zu Florenz die Rede ist. Ebenso nämlich, wie von Cimabue ein Hauptwerk
erwähnt worden war, findet nun auch von Giotto dasjenige Werk Erwähnung,
das den großen Namen noch damals in aller Munde erhielt und das der Anonimo
selbst vor Augen hatte, eben der Campanile von Sta. Reparata. Wickhoff erklärt
den Bericht über die Fehler für eine Fabel; aber sogleich muß er zugestehen, daß
das eine Fabel sei, die nach den Forschungen Nardini Despotis ihre geschichtliche
Wurzel hat. Andrea Pisano nämlich habe tatsächlich in den beiden vom Ano-
nimo bemerkten Beziehungen: d. h. in bezug auf die Basis und in bezug auf die
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Gliederung Wickhoff gehabt hat; darum will ich das Wort ihm gerne lassen stahn.
Aber das weiß ich, daß die Giottostelie des Anonimo einer Boccaccioschen Novelle
sehr unähnlich sieht. Sie ist von derselben trockenen Gelehrtenstrenge, wie der
Cimabueabsatz auch. Jedem Leser ist sie zur Hand, denn Milanesi hat sie in seiner
Vasariausgabe (I, 371) wortwörtlich mitgeteilt, und da ich hoffen darf, daß auch
der Decamerone bei keinem noch so methodisch arbeitenden Kunsthistoriker fehlt,
so brauche ich mich bei dem Vergleich nicht aufzuhalten. Ich will überhaupt
nicht weiter vom Stile sprechen, sondern nur kurz mitteilen, was die angebliche
Novelle enthält.
Ein interessanter Zufall will, daß gleich der Cimabuestelle auch die über Giotto
mit der Schärfe des Messers in fünf Teile zerlegt werden kann. Satz 1: Wie
Cimabue auch Giotto ein großer Maler in Florenz, dessen Ruhm durch ganz Italien
läuft. Satz 2: Eine Anekdote: Wie Giotto der Schüler Cimabues ward. Satz 3:
Giottos steigendes Ansehn; viele Werke von ihm in Florenz, Rom, Neapel, Bologna.
Satz 4: Eine Anekdote zum Beweis für Giottos Schlagfertigkeit. Satz 5: Giotto
der Schöpfer des Campanile von Sta. Reparata; dabei beging er Fehler, an deren
Erkenntnis er gestorben sein soll. Was ist nun von diesem Bericht zu halten?
Ich weiß nicht, von welchen Maximen die Vorsteher des historischen Instituts an
der Universität Wien erleuchtet sind, aber zu Basel im kunsthistorischen Seminar
würde zuerst folgende Konstatierung gemacht werden. Der Autor der Stelle mischt
Bericht und Anekdote, er tut das aber nicht auf eine poetische, sondern auf eine
kritische Art, indem er, während er die Nachrichten in absoluten Sätzen bringt,
seine Anekdoten jedesmal mit dem, alle Verantwortung ablehnenden Worte dicesi
einführt. Der Anonimo verbürgt sich weder für das, was er über Giottos Eintritt
bei Cimabue erzählt, noch für das Witzwort von Bologna, noch für den Tod
Giottos an gebrochenem Künstlerherzen. Es hinge ja gar nicht viel davon ab, ob
diese Erzählungen für wahr hingenommen würden oder nicht, aber der Kommen-
tator will Ordnung und Sauberkeit, er will wissenschaftliche Wahrheit. Je schärfer
er aber die Anekdote vom Bericht scheidet, desto höheren Kredit verdient er in
den Punkten, die er als wirkliche Tatsachen mitteilt. Zu ihnen gehört die Schüler-
schaft Giottos bei Cimabue, die Wickhoff sorglos genug in der Klage über die auch
vom Anonimo nicht ganz ernst genommene Legende von den näheren Umständen
des Eintritts Giottos bei dem älteren Meister untergehen ließ.
Aber warum erzählt der Anonymus die unverbürgten Begebenheiten überhaupt?
Aus einem einfachen Grunde: Er sagt alles, was er über die bei Dante vorkom-
menden Namen weiß und er hätte gar nicht geglaubt, Giotto richtig zu kennzeichnen,
wenn er ihn nicht in jenem Mantel der Legende vorgeführt hätte, den der große
Künstler seiner echten, d. h. volkstümlichen Zelebrität verdankte. Aber er tut es
mit der Zurückhaltung, an der man einen echten Historiker erkennt.
Ganz unbegründet ist Wickhoffs Spott über den letzten Satz, in dem vom Cam-
panile zu Florenz die Rede ist. Ebenso nämlich, wie von Cimabue ein Hauptwerk
erwähnt worden war, findet nun auch von Giotto dasjenige Werk Erwähnung,
das den großen Namen noch damals in aller Munde erhielt und das der Anonimo
selbst vor Augen hatte, eben der Campanile von Sta. Reparata. Wickhoff erklärt
den Bericht über die Fehler für eine Fabel; aber sogleich muß er zugestehen, daß
das eine Fabel sei, die nach den Forschungen Nardini Despotis ihre geschichtliche
Wurzel hat. Andrea Pisano nämlich habe tatsächlich in den beiden vom Ano-
nimo bemerkten Beziehungen: d. h. in bezug auf die Basis und in bezug auf die
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