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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0374
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tigkeit und feige Grausamkeit mehr Blut vergossen hat als alle Inquisitionen zu-
sammen. Dies Gemälde war eins der Meisterwerke des berühmten Champagne,
dessen andere Werke heute das Nationalmuseum schmücken. Um diesen Künstler
zu ehren, hatte man einen halbentblößten Arm vom Scheiterhaufen entfernt, aber
unter allgemeinem Beifall legte man ihn dahin zurück, woher man ihn niemals
hätte nehmen sollen."
In der Sitzung, die der Ausschuß des öffentlichen Unterrichts am 18. April 1794
abhielt, ließ die Kommission der Künste anfragen wegen der Zerstörung der Bild-
nisse und Denkmäler, die auf das Königtum und auf den Fanatismus Bezug hätten.
Man wünsche Zeitpunkt und Art zu wissen, wie man auf besondere feierliche
Weise diese Kunstdenkmäler nach den aufgestellten Listen vernichten könne,
damit auch nicht ein Stück dem „Schmelzofen der Republik" entrinnen könnte.
„So," ruft Courajod entrüstet aus, „verstanden die Mitglieder der Museumskom-
mission ihre Aufgabe"162). Gewiß, sie ist wohl niemals wieder in so verhängnis-
voller Weise mißverstanden worden. Die Autodafes königlicher Bildnisse und
kirchlicher Denkmäler von unschätzbarem Wert waren damals an der Tagesordnung,
von der Schändung der Reliquien gar nicht zu reden. Die Gebeine der heiligen
Genofeva, der Schutzheiligen von Paris, wurden auf dem Richtplatz — Place de la
Greve — mit großen Freudenbezeugungen verbrannt, der Reliquienschrein von un-
schätzbarer Arbeit in Stücke zerbrochen. In die Provinz wurden Delegierte ab-
gesandt mit dem Auftrag, in allen Kirchen die Bilder und Statuen von Heiligen
zusammenzulesen und sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, der der Vernunft und
der Philosophie angezündet werden sollte. Man wundert sich nicht, daß Klopstock
den Veranstaltern solcher Orgien den Ehrentitel des Citoyen zurücksandte und
dazu die Worte schrieb: „Das Übermaß eurer Barbarei und Missetaten haben für
immer eine Schranke aufgerichtet zwischen euch und dem glücklichen Deutsch-
land"163).
„Jeden Tag", so schreibt einer, der den „Schrecken" in allen seinen Zuckungen
erlebt hatte, „jeden Tag erneuerten sich diese Schändlichkeiten, bis alle Kirchen
in Paris und ringsherum allen Schmuckes entblößt waren und dem Auge nur noch
Trümmer darboten. Die wilden Banden Attilas haben die Heiligtümer nicht so
schamlos geplündert und geschändet wie es damals geschehen ist"164). So be-
schrieb ein Franzose, was er in den Jahren 1792/93 gesehen und erlebt, und ein
Deutscher, der Paris mehrere Jahre später besuchte, empfing noch die gleichen
Eindrücke165). Eines Tages führte ihn sein Weg in die Kirche St. Sulpice. Er sah
große Schutthaufen umherliegen. Der Fußboden, aus dem die Marmorsäulen und
Grabmonumente herausgerissen waren, war gänzlich verwahrlost. Die ihres Mar-
mors beraubten Altäre waren eingesunken; die Kirchenfenster, aus denen die alten
wundervollen Scheiben herausgebrochen waren, hatte man nicht wieder ersetzt.
Eines der schönsten Werke Pigalles, eine riesengroße Statue der Maria mit dem
Kinde stand noch in der Nähe des Hochaltars, aber in welchem Zustande! Dem
Kinde war der Kopf abgeschlagen, die Madonna verstümmelt, die Wolken zer-
trümmert. „Der Eindruck ist unauslöschlich in meiner Seele eingegraben. Der
treffliche Orgelspieler Sejan hatte mich und meine Freunde zu einem Orgelkonzert
eingeladen. Als nun die hehren Töne eines Chorals an den hohen Kirchen-
gewölben widerhallten, ging ich in den leeren Hallen und Kapellen umher, sah
diese Zerstörungen, die Ruinen der Altäre, die Ruinen der Gräber — Worte fehlen
mir, um meine Gefühle auszudrücken!"
In Saint-Germain-des-Pres hatten die Zerstörungen bereits im Frühjahr 1791

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