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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0378
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Wüste geworden. Der Vogel zieht vorüber. Das Gras wächst auf den zerbrochenen
Altären, und statt der Totengesänge, die einst von den Gewölben widerhallten,
hört man durch das offene Dach die Regentropfen fallen, oder ein Stein löst sich
los von den Trümmern und fällt, hart aufschlagend, in die Tiefe"182).
Das Denkmal des souveränen Volkes.
Obelisken von Holz, Kolossalstatuen aus Gips, monströse Gebilde aus zer-
brochenen Kunstwerken flüchtig zusammengesetzt, das war alles, was die Revo-
lution an die Stelle der Denkmäler zu setzen gewußt hatte, in denen sich Frank-
reichs Geschichte verkörperte.
Jacques Louis David, ein Erzjakobiner, das Orakel des Nationalkonvents in allen
Kunstangelegenheiten, heute der Maler von Marat und morgen Ruhmesherold von
Napoleon, empfand das Unzulängliche solcher Kunstübung und beglückte die Welt
mit einem völlig neuen, schöpferischen Gedanken. Am 17. November 1793, als
kaum über Saint-Denis das Consumatum est gesprochen worden war, erhob er im
Nationalkonvent seine Stimme und sprach den Epilog zum eben vollendeten Drama
der in den Staub getretenen Könige aus Erz und Stein183):
„Die Könige, die in den Tempeln nicht völlig den Platz der Gottheit zu erobern
vermocht hatten, hatten sich wenigstens der Portale bemächtigt. Hier hatten sie
ihre stolzen Bilder aufgestellt, damit das Volk sie anbeten möchte, ehe es in das
Heiligtum gelangte. Gewöhnt, sich alles anzueignen, machten sie der Gottheit
sogar Gebet und Weihrauch streitig.
„Ihr habt diese frechen Usurpatoren gestürzt; sie liegen auf der Erde, die sie
mit ihren Verbrechen befleckt haben und werden vom Volke verhöhnt, das endlich
von einem langen Aberglauben genesen ist.
„Bürger! Versuchen wir diesem Triumph der Vernunft über die Unvernunft
Dauer zu verleihen! Errichten wir ein Monument mitten in Paris, nicht fern von
jener Stätte, die sie zu ihrem Pantheon geweiht hatten, damit es unseren Enkeln
noch den glorreichen Sieg des souveränen Volkes über die Tyrannen verkünde.
Die verstümmelten Fragmente ihrer Statuen — übereinander gehäuft wie es der
Zufall will — sollen ein unvergängliches Denkmal ihrer Erniedrigung und unserer
Erhöhung sein. Der Wanderer, welcher einmal diese neue Welt besuchen wird,
wird dem Volke seiner Heimat nützliche Lehren mitbringen und sagen: Ich hatte
einmal in Paris Königsstatuen gesehen, die der Gegenstand einer erniedrigenden
Götzenanbetung waren — ich kam zurück, und ich fand sie nicht mehr!"184)
Auf diese letzten Reliquien des Königtums wollte David eine 15 Meter hohe
Statue setzen, als Symbol eines freien souveränen Volkes, und die Siege der franzö-
sischen Soldaten sollten die Bronze für diese Statue liefern.
Mit allgemeiner Zustimmung wurde von den Bilderstürmern von gestern dieser
Vorschlag angenommen, und in jenen hochtönenden Phrasen, in denen die Revo-
lutionsregierung sich auszudrücken beliebte, wurde sofort ein Preisausschreiben mit
achtzehn Artikeln über ganz Frankreich verbreitet! Kein Wunder, daß der Aufruf
ungehört verhallte, daß sich kein Künstler fand für solch ein Kunstungeheuer Mo-
delle anzufertigen. Was Frankreich verloren hatte, konnte auf solche Weise nicht
ersetzt werden185).
Aber ein Stachel blieb in der Seele der Franzosen zurück, den alle Phrasen nicht
zu lockern vermochten. So hatte das Volk, das sich rühmte, das kunstliebendste in
Europa zu sein, das Vermächtnis seiner Väter vertan! Nicht der grausame Krieg,
nicht unabwendbare Naturgewalten hatten Frankreich seiner glorreichsten Erinner-

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