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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Schaeffer, Emil: Zu den Bildnissen der Vittoria Colonna
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0391

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ZU DEN BILDNISSEN DER VITTORIA
COLONNA
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln Von EMIL SCHAEFFER

Im goldenen Zeitalter der Kunstgeschichte, als noch vielerlei Pfade aus dem hei-
teren Bezirk der Anekdote ins frostigere Reich der Wissenschaft führten, taufte
ein Museumsleiter, dessen Obhut das Konterfei irgend einer schönen Dame im Re-
naissancekostüm anvertraut war, diese gern auf den Namen „Vittoria Colonna".
Goldhaarige Vittorien gab es und schwarzgelockte; die einen lasen oder schrieben
Verse, indes andere, geistiger Prätentionen bar, durch wild-phantastischen Kopf-
putz, den brokatenen Pomp der Gewandung oder die reife Pracht des entblößten
Busens zu wirken suchten. „Aurea prima aetas" . .. All' diese Frauen mußten,
der Forschung von heute als Courtisanen verdächtig, den fanfarenhellen Titel
„Marchesa di Pescara e duchessa d'Amalfi" niederlegen und — „ein unbestrittenes
Bildnis Vittorias gibt es nicht"1). Trotzdem gebricht es uns keineswegs an Kunde
über ihre äußere Erscheinung, deren „divina bellezza" von den petrarchisierenden
Poeten Neapels um die Wette gefeiert wurde2). Aber war die junge Marchesa
wirklich gewappnet „mit dem Schilde der Diana und den Pfeilen Cupidos"?
Mythologische Vergleiche blieben damals keiner Patricierin erspart, am wenigsten
einer Colonna, in deren Adern dem Blute dieses erlauchten Geschlechtes sich das
der Sforza und Montefeltre mischte und — man vergesse nicht! — vor dem Stirn-
runzeln ihres Gatten, des kaiserlichen Feldhauptmannes Pescara, zitterte Neapel.
Auch Ariosto hat dem Strophenkranz des „Orlando furioso" fünf Stanzen zur Ver-
herrlichung Vittorias eingeflochten8), aber keine dieser vierzig Zeilen huldigt ihrer
Schönheit, und Messer Lodovico, der die „fama onesta" einer Lucrezia Borgia be-
sang4), scheute doch, wenn es sein mußte, vor einer dick aufgetragenen Schmeichelei
nicht zurück. Aber im Gegensätze zu Neapels Dichtern hatte der Lehensmann
Ferraras von der Colonna nichts zu hoffen, von dem längst eines dunklen Todes
verblichenen Pescara nichts zu fürchten, konnte sich also, eine Lüge sparend, mit
der Verbeugung vor dem Talente Vittorias begnügen. Das Schweigen Ariostos

(i) Reumont: „Vittoria Colonna". Freiburg 1881, p. 257. — Wyß hat im neunten Kapitel seines
reichhaltigen Buches „Vittoria Colonna", Frauenfeld 1916, p. 124 ff. alle Bildnisse, die heute noch den
Namen Vittoria Colonna tragen, auf ihren ikonographischen Wert hin untersucht. Als ein authen-
tisches Porträt läßt er, ebenso wie d'Achiardi („Sebastiano del Piombo", Roma 1908, p. 204 f.) nur
Sebastianos Bildnis einer jugendlichen Dame in der Berliner Galerie Huldschinsky gelten. Aber das
Modell dieses Porträts hat dunkles Haar und Galeazzo di Tarsia preist doch an Vittoria besonders
„Le trecce d'or, ehe in gli altri giri
Non e ch'unqua pareggi o sole 0 Stella . . ."
Ein kleiner Anhang zu der von Wyß gegebenen Ikonographie: Eine Replik jenes Porträts einer be-
jahrten Frau, das Campanari als Werk Michelangelos publiziert hatte, (D. Campanari: „Ritratto di
Vittoria Colonna, dipinto da Michelangelo Buonarotti." London 1853) befand sich vor Jahren im
Besitz der Kunsthandlung Sedlmeyer zu Paris, wo sie als Schöpfung Sebastianos galt. Beide Gemälde
gleichen einander genau; nur schmiegt sich auf dem Pariser Exemplar noch ein etwa zehnjähriges
Mädchen an das Knie der alten Frau, — ein Umstand, der die Bezeichnung „Vittoria Colonna" nicht
gerade unterstützt.

(2) Vergl. Wyß: op. cit., 2. Kap., p. 10 ff.

(3) Ariosto: „Orlando furioso", canto 37, st. 16 ff.

(4) Ibidem: canto 13, st. 69.

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