Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

DOI Heft:
Achtes/Neuntes Heft (August/September 1906)
DOI Artikel:
Sirén, Osvald: [Rezension von: Paul Schubring, Moderner Cicerone. Berlin I. Das Kaiser Friedrichs-Museum]
DOI Artikel:
Sachs, Curt: [Rezension von: Jahrbuch der Kgl. Preussischen Kunstsammlungen. III. Heft], [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0169
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aug./Sept.-Heft. Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

161

eine Notwendigkeit, wenn es gilt, ein träges
Publikum zu fesseln. Jeder, der ganz unvor-
bereiteten Menschen Kunstwerke verständlich zu
machen versucht hat, mag aus eigener Erfahrung
gestehen, welche ausserordentliche Darstellungs-
gabe dazu nötig ist. Es genügt nicht, den ganzen
Vorrat von wissenschaftlichen Terminis oder eine
strenge formale Analyse darzubieten; das Publikum
bleibt gleichgültig, wenn nicht eine gute Portion
literarischer Fantasie die Kunstwerke beleuchtet
und sozusagen menschlich näher bringt. Eben in
dieser sehr schwierigen Hinsicht hat der Verfasser
besonders gute Voraussetzungen; wir zweifeln nicht,
dass seine kurzen und lebhaften Bemerkungen
über zahlreiche Kunstwerke diese den Beschauern
geniessbar machen; trotz dem Beichtuni an Ob-
jekten behält der Verfasser durchgehend seinen
lebhaft schildernden Ton.
Wie schon bemerkt wurde, sind nicht neue
Attributionen und dergl. in einem Werke wie
dieses in erster Linie von Bedeutung; die können
auch nicht in dem engen Bahmen durch Spezial-
untersuchungen begründet werden. Der Verfasser
bringt jedoch eine ganze Beihe. Bilder und
Skulpturen-Bestimmungen, die von den amtlichen
ab weichen; in mehreren Fällen stimmen wir ihm
bei; umso lebhafter aber bedauern wir, dass er bei
zwei Hauptstücken des Museums, „Lionardos“
Himmelfahrt Christi und „Michelangelos“ Johannes
der Täufer, die offiziellen Bestimmungen aufge-
nommen hat. Denn besonders bei grossen Namen
sollte es vermieden werden, dem unselbständigen
Publikum unsichere oder minderwertige Stücke als
Beispiele vorzuführen. Der Verfasser lässt auch
selbst persönliche Zweifel an diesen kühnen Attri-
butionen in seinem Text durchscheinen.
Osvald Siren
Jahrbuch der Kgl. Preussischen Kunst-
sammlungen. III. Heft.
Ein Madonnen bild Gerard Davids im
Kaiser Friedrich-Museum (Max J. Fried-
länder). Die Halbfigur Marias, dem Kinde die
Brust reichend, Hintergrund bergige Landschaft
mit der Flucht nach Egypten. Provenienz Spanien
1904, angeblich aus dem Besitz der Familie Ossuna;
Zustand gut. Entstehungszeit vermutlich ca. 1495
(bei v. Bodenhausen etwa 1495). F. gibt die Ent-
wicklung der niederländischen säugenden Madonna.
Die Wurzel des Stammbaums ist das mehrfach
wiederholte Brüsseler Lukasbild; davon hängen
drei Gemälde in Berlin, Brüssel und Antwerpen
ab. Es folgt eine Lücke, die ein nicht nachzu-
weisendes Bild von genau bestimmbarer Fassung,
von Boger selbst oder von ihm abhängig, ausfüllen

müsste, und an diese schliesst sich eine Serie von
7 Kompositionen in Berlin, München, Aachen,
Madrid und London, die genau mit einander über-
einstimmen. Während die ersten Stücke, um
1460, Varianten des Bogerschen Vorbildes sind,
handelt es sich bei den andern um Kopien, um 1500.
Obwohl David mehrfach kopiert hat, ist das be-
handelte Bild nicht in der zusammengestellten
Beihe unterzubringen, vielmehr ist es eine dem
Urbild bereits beträchtlich entrückte Variante.
2. Laokoon im Mittelalter und in der
Benaissance (Bichard Förster). Mit der Ver-
grabung der antiken Laokoongruppe und der Ver-
legung der Vergilhandschrift war die Laokoonsage
verurteilt, auf tausend Jahre literarisch und bild-
nerisch zu verschwinden. Einzelne Erwähnungen
des Mythos oder der Gruppe, wie in der Tröjumana
Saga und in der „Naturgeschichte“ des älteren
Plinius vermochten nicht sie lebendig zu erhalten.
Im 14. Jahrhundert erst begegnet wieder eine
Hlustrierung des Mythos, wenn auch nur als
schwacher Versuch, in dem Pergamentkodex 881
der Kiccardiana, der in lateinischer Sprache die
Zerstörung Trojas schildert. Weiterhin, im 15. Jahr-
hundert, bringt eine Virgil-Handschrift in der Vati-
cana (Cod. lat. 2761) von der Hand des Jacobus
de Fabriano, wie aus den Schlusshexametern her-
ausgeheimnist werden kann, demselben Jacobus, der
den Livius der Wiener Hofbibliothek (lat. 14)
illuminiert hat, Laokoondarstellungen, freilich, wie
alle Miniaturen des Manuskripts, sehr schwache.
Fortgeschrittener ist derVergilcodex derBiccardiana
(Nr. 492), der in dasselbe Jahrhundert gehört, aber
wohl kaum, wie behauptet worden ist, auf Be-
nozzo Gozzoli zurückgeht; Laokoon wird hier zum
erstenmal einheitlich als alter Mann und Hoher-
priester gegeben. In Deutschland liegt die erste
Laokoondarstellung in der Strassburger Vergil-
ausgabe von 1502 vor, die im Verlage von Jo-
hannes Grieninger von Sebastian Brant ediert
worden ist. Die Holzschnitte dieser Publikation
sind in der Folge häufig wiederholt worden. Die
bedeutendste Komposition des Themas abei' hat
Filippo Lippi in einer Handzeichnung gegeben,
und zwar nicht allein im Anschluss an Vergil,
sondern auch unter Benutzung des Servius-Kom-
mentars, der die Katastrophe mit einem Frevel
des Priesters motiviert.
In dem grosen Jubel und Trubel, der der Auf-
findung der antiken Laokoongruppe im Jahre 1506
folgte, standen die Künstler zunächst so stark
unter dem Bann des Werkes, dass sie es nicht frei
benutzen, sondern nur sklavisch nachbilden konnten.
Francesco San Gallo, Marco Dente, Jacopo San-
sovino, Antonio Elia und Baccio Bandinelli schufen
 
Annotationen