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Müller, Karl Otfried
Archäologische Mittheilungen aus Griechenland (Band 1,1): Athens Antiken-Sammlung — Frankfurt a.M., 1843

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https://doi.org/10.11588/diglit.900#0014
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Diese in die Knoten und Perioden der Wirklichkeit, und an ihr entwickelter Sitte, eingekleideten all-
gemeinen Bestimmungen bildeten das System der vergeistigten Naturanschauung des Griechen. So
entstanden ihm seine Götter, deren Wesen auf den schöpferischen Gründen und Zwecken der Natur-
bezirke ruhte, und deren Wirken darin gesehen wurde, dass der Inhalt und die regelmassigen Vor-
gänge dieser Naturkreise dem Bedarf und Streben des Menschen entgegenkamen, eine seiner Bestim-
mung entsprechende Zweckmässigkeit und seinem Verstände gleiche Gesetzmässigkeit entfalteten und
behaupteten. Wie daher die Landschaft menschliches Wohngebiet, Nähr- und Wehrkreis, ihre Gaben
erkannte Eigentümer, ihre Fähigkeiten und Veränderungen Regeln menschlichen Thuns und Ge-
nusses, all ihre Zweckanlagen menschliche Sitten wurden: so stiegen aus ihr dem Griechen in der
Betrachtung dieses Prozesses von selber die Wesen auf, die das Natürliche dem Menschlichen, das
Vorhandene und Vorgehende dem Willen und Wissen, das Nothwendige dem Freien aneignen und
sittlich verknüpfen. In der Selhsthescbanung derCultur wurden dem Griechen seine Götter Inbegriffe
der Natur und zugleich der menschlichen Geistigkeit, ausgestattet mit den Grundzügen der Wirklich-
keit, aber eingebildet in Menschengestalt.

Es waren auch allein diese gemeinsamen Bestimmungen in Natur und Ge.ist, allein die Götter,
welche als anerkannte Verbindungsmacht die griechischen Völkerschaften zusammenhielten. Statt um-
fassender Reiche, wie sie die leichte Verselbständigung der kleinen Staaten nicht aufkommen liess,
machten die Ideen allgemeiner göttlicher Lebensleätung das Band und Mittel für Staatenvereine und
Nationalbewußtsein. Griechenlands Grosskönige waren nur die Gottheiten; als Königstädte zur Samm-
lung und Darstellung der Kräfte und Schönheit des Volkes dienten nur Btmdesheiiigthürner: den
Landfrieden geboten und die Musterungen bewirkten blos die heilig gehaltenen Feste der erneuten
Himmelsordnung mit ihren freibesuchten Wettspielen. Keine Standarten und Rundwachen eines Ober-
herrn, aber auf den Meerstrassen liegende Inselheiligthümer_. die Bergpässe schirmende Götterhaine,
Tempel auf Landengen, im Hafen, am Vorgebìrg schützten die Wege des Verkehrs, die Märkte, die
Waaren und das gewonnene Gut; und anstatt oberster Venvaitungsbeamten empfingen die zahlreich
und weither besuchten Orakel fortwährend Kunde von den Zuständen getrennter Geschlechter und
entlegener Volkskreise, waren die sichern Niederlagsorte für Nachrichten, Pfänder, Tauschgüter, und
die kundigen Rath s beh örd en für Streitigkeiten der Staaten, für Unternehmungen der Seefahrer und
entfernte Pflanzungen. Durch solche heilige Vcrbindungspunkie blieben auseinander geführte Grie-
chenstämme, so wie die Zweige ihrer Bildung, und einheimische Staaten mit auswärtigen in Zusam-
menhang und Austausch.

Dies, dass die letzten Instanzen'dieser Nation, deren Land ein Schema der Freiheit war, überall
nur Ideale des allgemeinsten natürlichen und sittlichen Bedürfnisses, die Anstalten und menschlichen
V ertreter der Ideale nicht mit äusserlich überherrschender Gewalt, sondern blos mit einer Macht be-
lehnt waren, die sich auf die innere Nöthigung der Gemüther gründen und durch wirkliche Verwer-
thung für die praktischen Verhältnisse behaupten musste, diese in ihrer Art einzige Befestigimg der
höchsten Interessen des Volkes nur in einer geschichtlich entwickelten Phantasie der Bewusstseins-
gesetze ist die Ursache, warum das alte Grieehenvolk, wie kein anderes, ein Volk der Kunst wer-
den musste. '
 
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