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Müller, Karl Otfried
Archäologische Mittheilungen aus Griechenland (Band 1,1): Athens Antiken-Sammlung — Frankfurt a.M., 1843

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https://doi.org/10.11588/diglit.900#0015
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Da der Zusammenhalt der Landschaften untereinander und der Völkerschaften im Bunde durch
die Phantasie des Glaubens aliein gegeben war, so konnte er auch gestaltet nur iür die Phantasie und
lebendig nur in ihrer bildenden und sinnenden Begeisterung unterhalten «erden. Die Asyle der Einig-
keit und Gemeinkraft, der Gesammtwürde und Sicherheit mussten sich in Götterheerden erbauen, die
ihre Macht und Würdigkeit iür die Phantasie unmittelbar ausdrückten. Die Ideale aber'dieser Macht
da sie in alle Grenzen und Vermitteiungen des Handelns hereingriffen, zogen die Mittel und Früchte
des Lebens, die Waffen und Freudengeräthe der Sitte und* den Schmuck der Gesellschaft als ihr
Gewand, die Energieen des Lebens und Strebungen der Geister als ihr Inneres an. Plastische Tem-
pelgebäude und plastische Götteigestalten erstanden aus einer inneren Notwendigkeit. Das Aner-
kennen aber von der Tugend und Heiterkeit des Volkes im Zusammenhang mit diesen Idealen konnte
sich nicht in Würdebelehnungen von höchsten Behörden herab und hinauf, die es nicht gab, aus-
sprechen, sondern nur in der i'reithätigen Darstellung der Tugend und Heiterkeit Aller aneinander
und miteinander, im festlichen Aufzuge, wo Alle abwechselnd Glieder und Zuschauer waren, in Käm-
pfen der Volksfeste, die keinem Streite, noch Erwerbe, nur der Offenbarung gottgegebener Tüchtig-
keit und Wertherkenntniss galten. Und weil die Vertreter der allgemeinen Begeisterung die Form
derselben und ihr Wissen durch keine äussere Gewalt befestigen und verbindlich machen konnten, so
mussten von ihnen stets diejenigen an die Spitze treten, welche in thätiger Phantasie die herkömm-
lichen Ideale mit der fortschreitenden Sittlichkeit zu vermitteln wussten, die wahrhaften Seher und
Meister musischer Chöre, die schaffenden Künstler und geistreichen Dichter.

So wie nun der Besucher Griechenlands die erste Bedingung zu einer solchen ideal-wirklichen
Bildung noch in den Grössrniverliiiltiiisseu der Landschaften und Graden von Abgrenzung und Oeff-
nung gegeneinander verzeichnet sieht: so findet er auch die Malstätten dieser Bildung und ihrerFeste
noch nicht von jeder Spur der alten Bedeutung entblöst. Noch beut ihm der Boden wenigstens die
Bezirkslinien zur Anknüpfung seiner Erinnerung an den Keichtbum von Denkmalen und das kräftigt*
Leben, womit diese Stätten verherrlicht waren; noch spricht in hingestrenten Trümmern und Ruinen
die alte Baukunst an den Orten ihrer Entstehung ihn an. Im waldgesäumten Thaïe von Olympia
trifft er am Fusse jenes steilen Hügels, der vor Zeiten durch die Opferasche jeder Festepoche höber
wuchs, die Grundmauer und ein Paar grosse Säulenstumpfe von dem Tempel, in welchem einst der
colossale Zeus des Phidias thronte; auf dem Isthmos, im Angesicht der prachtvoll umgürteten Meer-
enge, Mauerreste und Bautrümmer von dem Bezirke des Poseidon, wo die Wagenrennen gefeiert wur-
den; in Nemea's von malerischen Hügeln und fernschimmernden Kuppen umgrenzten 'Thale unter
grünen Rückwänden über gefallenen Colomien noch eine Säulengruppe vom Tempel des Zeus der
Nemeischen Spiele. Auch Delphi verriith noch durch Terrassenmauern und Marmorstufen die Um-
grenzung und Steile seines Orakels, auch Deios durch Säulen einen Tempel desselben Gottes und in
plastischen Architekturtrümmern die Hürde seiner Opferfarren, Eleusis durch Hallenreste und Platt-
formen den einst so heiligen Boden, Epidauros in edeln Bruchstücken die Tempelstadt des Heilgottes.
Und es gemuthet anders, in einer stillen griechischen Waldschlucht oder auch auf einer Höhe, wie
Akrokorinth, unter den grossartigsten Ansichten des Meeres und seiner gewaltigen Gebirgswälle bei
Trümmern eines Tempeis zu stehen, als wenn man römische Ruinen mitten unter neuen Gebäude-
 
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