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Müller, Karl Otfried
Archäologische Mittheilungen aus Griechenland (Band 1,1): Athens Antiken-Sammlung — Frankfurt a.M., 1843

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https://doi.org/10.11588/diglit.900#0138
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Reste von weiblichen und männlichen Figuren. So zerstört, haben sie gleichwohl als Ueberbleibsel
einer Kunstejioche, in der ein und der andere Schüler des Phidias noch leben konnte und Skopas
vielleicht schon geboren war oder wenige Jahre darauf zur Welt kam, für die Kunstgeschichte hohen
Werth. An den besser erhaltenen zeigt sich eine völlige, kräftig weiche Formenbiidung und ein'
grossartiger Gewandstyl, allerdings verwandt in ihrem kleineren Massstabe den edeln Parthenon-
Sculpturen, gleichwie mehrere der in der Inschrift genannten Theil-Vorstellungen in Gegenstand und
Motiv an solche des Parthenonfrieses erinnern. Schon wegen der Vergleichung mit den Letzteren
sind diese Reste sehr wichtig.

Der auffallende Unterschied von Dem, was wir vom Style noch der Zeitgenossen des Phidias
wissen, so wie dem Style in den Metopenfiguren des Parthenon selbst, gegen den edleren und geist-
vollreinen der Friesdarstellungen und Giebel-Gestalten ah demselben lässt den Zweifel, ob die Letz-
teren nicht erst der Epoche nach Phidias angehören, nicht eben grundlos erscheinen. Hirt hat sie
geradezu der Epoche des Skopas und Praxiteles zugetheilt. Die Hochreliefs nun aber vom Ereeh-
theïonfries, da dessen plastische Verzierung den Schriftzügen der Baurechnung zufolge zum wenigsten
gegen ein halbes Menschenalter, vielleicht ein volles Menschenalter vor der Biütbe des Skopas zu
setzen ist, geben einen Beweis, dass eben so lange vor diesem Künstler bereits in einem annintbig-
grossen Styl gezeichnet und gebildet ward. Nach derselben ungefähren Zeitbestimmung sind diese
Hochreliefs allenfalls um eben so viel jünger, denn Phidias Blüthenzeit, als sie älter, denn die des
Skopas oder Praxiteles sind. Nicht minder aber, meine ich, müssle man aus dem blosen Anblick der
kleinen Hochrelief-Figuren vom Erechtheion geneigt sein, sie für jünger als die Parthenon-Bildwerke
zu halten. In den schönsten der Letzteren findet man eine unvergleichliche Verschmelzung von Naivetät
mit Genie und Meisterschaff. In diesen Hochreliefs, wenn ich dein Eindrucke so unganzer Stücke
vertrauen darf, ist schon mehr Schulmässiges; was am meisten im reichlichen Gewandfluss, in der
Führung und dem rundlichen Schwung des Gefäits hervortreten dürfte. Es ist die Schule des grossen
Styls, der in den Fries-Gruppen und Giebelstatueu des Parthenon ganz Seele und Athem, hier wohl
bereits mehr Behandlungsart, Gewöhnung einer ausgiebigen Anlage und breitllüssigen Modelürung
ist, edel, frei, anmuthend, aber etwas gelernter, geläufiger, kälter. Seh' ich die colossalen Parthenon-
Götter an: sie sind so ganz olympisch, dass sie nicht für Andere, nur für sich, nur gross und seelig in
sich zu sein scheinen. Die Gebilde aber vom Erechtheion, dünkt mich, kündigen schon mehr selber
ihre Wirkung an. Ihre Bruchstücke haben auch etwas-sehr Gleichartiges untereinander. Wären ihrer
mehr (vielleicht finden sich noch welche hinzu!) und wären alle gleichartig, so würde dies bei der
durch die Inschrift bezeugten Vevlheihmg der Arbeit auf viele Hände am meisten die Schutmässigkeit
derselben bezeugen. Am Parthenon findet solche Gleichmässigkeit nicht statt. Auf der einen Seite
trifft man unter den im Ganzen härteren, bisweilen barocken Metopen-Gruppen hinwieder einzelne
reiner und grossartig entwickelte, und auf der andern Seite enthält der im Ganzen so edelschöneFries
auch ein par schwächere, kleinlicher behandelte Gruppen. Es sind gleichfalls neben den unübertreff-
lichen Giebelfiguren trocknere und nicht grossartig ausgeführte Stücke vorhanden. Aehnliche
Gegensätze einer harten, ja ungeschickten Technik gegen vortreffliche Zeichnung und höchst schöne
Theilvorstellungen lässt der Fries des Arkadischen Tempels bemerken, der unter Mitwirkung oder
 
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