Müller, Friedrich Max: Vorlesungen über den Ursprung und die Entwicklung der Religion: mit besonderer Rücksicht auf die Religionen des alten Indiens (Strassburg, 1881)

Religion und Philosophie.

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stractesten gehören, welche die menschliche Sprache ge-
bildet, Ideen wie Gesetz, Tugend, Unendlichkeit, Unsterb-
lichkeit, ebenfalls von sinnlichen Eindrücken ihren Aus-
gang nahmen, ja dass dies in der That gar nicht anders
sein konnte.

Hier hätte ich nun sehr gern etwas mehr Raum zu
meiner Verfügung gehabt, um die Geschichte von noch
einigen anderen dieser Ideen genauer zu verfolgen; um
namentlich die Eindrücke nachzuweisen, welche die erste
bewusste Berührung mit dem Tode im menschlichen Geiste
hervorrief, und dann das langsame, aber unaufhaltsame
Wachsthum der Ideen zu verfolgen, die wir jetzt unter
dem Namen Glauben und Offenbarung begreifen. Man
hat oft behauptet, dass der Todtendienst in Indien nur
wenig vertreten ist. Nichts ist irrthümlicher. Auch in
Indien, wie fast überall, haben die Gefühle und Gedanken,
welche die Trennung von denen, die wir mit ganzer Seele
geliebt, in uns wachrufen, den mächtigsten Einfluss auf
die Bildung religiöser Ideen geübt; ja, man kann nach-
weisen, dass der Glaube der Inder seine früheste Nahrung
aus jenen Hoffnungen eines künftigen Lebens und Wieder-
sehens zog, die in den Augen der Väter unseres Ge-
schlechts ihre Wahrheit durch ihre Unwiderstehlichkeit
zu bezeugen schienen.

Endlich sahen wir, wie auf ganz natürliche und ver-
ständliche Weise ein Glaube an einzelne höchste Wesen
oder Devas (Henotheismus) sich auf der einen Seite zu
einem Glauben an ein höchstes Wesen entwickelte, das
eine Oberhoheit über alle anderen und daher nicht mehr
höchste Götter übte (Polytheismus), und auf der anderen
Seite zu einem Glauben an einen Gott wurde, dessen