EINLEITUNG
Seit über zweieinhalb Jahttausenden ist es ein Anliegen der Geschichtsschrei-
bung, den Ursprung Roms zu erhellen und ein Bild vom Charakter des ältesten Rom
zu gewinnen. In der Antike hielt man Rom für eine planmäßig gegründete Stadt
und nannte Romulus als Gründer 1. Neben der Romulussage, z.T. mit ihr verwoben,
stand die Überlieferung, wonach Aeneas der Stammvater der Römer sei.
Die Romulussage ist, wenn auch nicht literarisch, so doch archäologisch min-
destens bis in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. zurückzuverfolgen:
Didrachmen, die im Auftrag des römischen Staates zwischen 269 und 260 v. Chr. in
Kampanien geprägt worden sind, zeigen die Wölfin mit dem Zwillingspaar Romulus
und Remus; und sofern die mitunter geäußerte Vermutung zu Recht besteht, daß
zu dem Bronzestandbild der kapitolinischen Wölfin ursprünglich auch zwei Knaben
gehört haben (die jetzt darunter kauernden sind bekanntlich neuzeitliche Arbeiten),
so wäre die Romulussage sogar bereits für die Zeit um 500 v. Chr. vorauszusetzen,
zum mindesten soweit es das Motiv der Aussetzung und Säugung des Stadtgründer-
Bruderpaares durch eine Wölfin anlangt.
Verwandte Sagenmotive sind bei den Etruskern mehrfach nachweisbar. Eine
Grabstele von Felsina (Bologna) zeigt eine Wölfin, die einen Knaben säugt, wobei
sicher nicht an Romulus, sondern einen etruskischen Heros zu denken ist. Auch bei
der Gründungssage von Tarquinii spielt ein Brüderpaar Tarchon und Tyrsenos eine
Rolle, deren Vater, Telephos, von einer Hirschkuh gesäugt worden war. Ungewiß
ist, wie die einzelnen italischen Vorkommen dieses Motives untereinander zu ver-
knüpfen sind. Demgegenüber ist es gewiß, daß dies Motiv insgesamt vom griechisch-
kretisch-orientalischen Bereich nach Italien gelangt ist. Beispielsweise soll auch
Miletos, der sagenhafte Gründer von Milet, von einer Wölfin gesäugt worden sein.
Ob auch noch andere und gegebenenfalls welche Züge der Romulussage, wie
sie uns von der späteren Annalenliteratur berichtet wird (etwa, daß die Vestalin Rea
Silvia und der Kriegsgott Mars die Eltern der Zwillinge gewesen seien, oder die
Tötung des Amulius durch die bei den Hirten herangewachsenen Brüder; der Betrug
des Romulus bei Einholung der Auspizien vor der Stadtgründung; der Brudermord
des Romulus, als Remus die Linie der künftigen Stadtmauer übersprang u.a.m.),
in die älterrepublikanische Zeit (oder gar die Königszeit) zurückreichen, entzieht
sich völlig unserer Kenntnis. Vereinzelt läßt sich die Entstehungszeit gewisser
Bestandteile der livianischen Gründungssage näher angeben; so hat Th. Mommsen
1 Über die Gründungssage allgemein A. Schwegler, Römische Geschichte I (1853);
RE. 2. R. I 1 (1924) 1074ff. s. v. Romulus (Rosenberg).
Seit über zweieinhalb Jahttausenden ist es ein Anliegen der Geschichtsschrei-
bung, den Ursprung Roms zu erhellen und ein Bild vom Charakter des ältesten Rom
zu gewinnen. In der Antike hielt man Rom für eine planmäßig gegründete Stadt
und nannte Romulus als Gründer 1. Neben der Romulussage, z.T. mit ihr verwoben,
stand die Überlieferung, wonach Aeneas der Stammvater der Römer sei.
Die Romulussage ist, wenn auch nicht literarisch, so doch archäologisch min-
destens bis in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. zurückzuverfolgen:
Didrachmen, die im Auftrag des römischen Staates zwischen 269 und 260 v. Chr. in
Kampanien geprägt worden sind, zeigen die Wölfin mit dem Zwillingspaar Romulus
und Remus; und sofern die mitunter geäußerte Vermutung zu Recht besteht, daß
zu dem Bronzestandbild der kapitolinischen Wölfin ursprünglich auch zwei Knaben
gehört haben (die jetzt darunter kauernden sind bekanntlich neuzeitliche Arbeiten),
so wäre die Romulussage sogar bereits für die Zeit um 500 v. Chr. vorauszusetzen,
zum mindesten soweit es das Motiv der Aussetzung und Säugung des Stadtgründer-
Bruderpaares durch eine Wölfin anlangt.
Verwandte Sagenmotive sind bei den Etruskern mehrfach nachweisbar. Eine
Grabstele von Felsina (Bologna) zeigt eine Wölfin, die einen Knaben säugt, wobei
sicher nicht an Romulus, sondern einen etruskischen Heros zu denken ist. Auch bei
der Gründungssage von Tarquinii spielt ein Brüderpaar Tarchon und Tyrsenos eine
Rolle, deren Vater, Telephos, von einer Hirschkuh gesäugt worden war. Ungewiß
ist, wie die einzelnen italischen Vorkommen dieses Motives untereinander zu ver-
knüpfen sind. Demgegenüber ist es gewiß, daß dies Motiv insgesamt vom griechisch-
kretisch-orientalischen Bereich nach Italien gelangt ist. Beispielsweise soll auch
Miletos, der sagenhafte Gründer von Milet, von einer Wölfin gesäugt worden sein.
Ob auch noch andere und gegebenenfalls welche Züge der Romulussage, wie
sie uns von der späteren Annalenliteratur berichtet wird (etwa, daß die Vestalin Rea
Silvia und der Kriegsgott Mars die Eltern der Zwillinge gewesen seien, oder die
Tötung des Amulius durch die bei den Hirten herangewachsenen Brüder; der Betrug
des Romulus bei Einholung der Auspizien vor der Stadtgründung; der Brudermord
des Romulus, als Remus die Linie der künftigen Stadtmauer übersprang u.a.m.),
in die älterrepublikanische Zeit (oder gar die Königszeit) zurückreichen, entzieht
sich völlig unserer Kenntnis. Vereinzelt läßt sich die Entstehungszeit gewisser
Bestandteile der livianischen Gründungssage näher angeben; so hat Th. Mommsen
1 Über die Gründungssage allgemein A. Schwegler, Römische Geschichte I (1853);
RE. 2. R. I 1 (1924) 1074ff. s. v. Romulus (Rosenberg).