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Münchener Bilderbogen — 16.[1863] Nro. 361-384

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Nro. 375
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Das Lumpengesindel.
Märchen von Grimm.

375


Hähnchen sprach zum Hühnchen: „Jetzt ist die Zeit, wo
die Nüsse reif werden: da wollen wir zusammen auf den Berg
gehen und uns einmal recht satt essen, ehe sie das Eichhorn
alle wegholt." — „Äa", antwortete das Hühnchen, „komm, wir
wollen uns eine Lust mit einander machen." Da gingen sie
zusammen fort auf den Berg, und weil es ein Heller Tag


wartet, das soll Euch schlecht bekommen!" und ging damit auf
das Hähnchen los. Aber Hähnchen war auch nicht faul und
stieg der Ente tüchtig zu Leib: endlich hackte es mit seinem
Sporn so gewaltig auf sie los, daß sie um Gnade bat und
sich gern zur Strafe vor den Wagcu spannen ließ. Hähnchen
setzte sich nun auf den Bock und war Kutscher, und darauf


war, blieben sie bis zum Abend. Nun weiß ich nicht, ob sie
sich so dick gegessen hatten, oder ob sie übermüthig geworden
waren, kurz, sie wollten nicht zu Fuß nach Haus gehen, und
das Hähnchen mußte einen kleinen Wagen von Nußschalen
bauen. Als er fertig war, setzte sich Hühnchen hinein und
sagte zum Hähnchen: „Du kannst Dich nur immer Vorspannen."


ging cs fort in einem Jagen, „Ente lauf zu, was Du kannst!"
Als sie ein Stück Weges gefahren waren, begegneten sic zwei
Fußgängern, einer Stecknadel und einer Nähnadel. Die
riefen: „Halt! halt!" und sagten es würde gleich stichdunkcl
werden, da könnten sie keinen Schritt weiter, auch wäre es
so schmutzig auf der Straße, ob sie nicht ein wenig eiusitzcu


„Du kommst mir recht", sagte das Hähnchen, „lieber geh' ich
zu Fuß nach Haus, als daß ich mich Vorspannen lasse: nein,
so haben wir nicht gewettet. Kutscher will ich wohl sein und
auf den Bock sitzen, aber selbst ziehen, das thu' ich nicht."
Wie sie so stritten, schnatterte eine Ente daher: „Ihr
Dicbsvolk, wer hat Euch geheißen in meinen Nußberg gehen?


könnten: sie wären auf der Schneidcrherberge vor dem Thor
gewesen, und hätten sich beim Bier verspätet. Hähnchen, da
es magere Leute waren, die nicht viel Platz einnahmen, ließ
sie beide einsteigen, doch mußten sie versprechen, ihm und
seinem Hühnchen nicht auf die Füße zu treten. Spät Abends
kamen sie zu einem Wirthshaus, und weil sie die Nacht nicht


weiter fahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war
und von einer Seite auf die andere fiel, so kehrten sie ein.
Der Wirth machte anfangs viele Einwendungen, sein Haus
wäre schon voll, gedachte auch wohl, es möchte keine vornehme
Herrschaft sein, endlich aber, da sie süße Reden führten, er
sollte das Ei haben, welches das Hühnchen unterweges gelegt


hatte, auch die Ente behalten,
sagte er, sie könnten die Nacht
auftragen und lebten in Saus
als es erst dämmerte und noch

die alle Tage eins legte, so
bleiben. Nun ließen sie frisch
und Braus. Früh Morgens,
alles schlief, weckte Hähnchen

das Hühnchen, holte das Ei, pickte es auf, und sie verzehrten
es zusammen- die Schalen aber warfen sie auf den Feuerherd.


Dann gingen sie zu der Nähnadel, die noch schlief, packten
sie beim Kopf und steckten sie in das Sesselkissen des Wirths,
die Stecknadel aber in sein Handtuch, endlich flogen sie,
mir nichts dir nichts, über die Heide davon. Die Ente, die
gern unter freiem Himmel schlief, und im Hof geblieben war,
hörte sie fortschnurren, machte sich munter und fand einen





Bach, auf dem sie hinabschwamm: und das ging geschwinder
als vor dem Wagen. Ein paar Stunden danach hob sich
der Wirth aus den Federn, wusch sich und wollte sich am
Handtuch abtrocknen, da fuhr ihm die Stecknadel über das
Gesicht und machte ihm einen rothen Strich von einem Ohr
zum andern: dann ging er in die Küche und wollte sich eine

Pfeife anstecken, wie er aber an den Herd kam, sprangen
ihm die Eierschalen in die Augen. „Heute Morgen will mir
Alles an meinen Kopf", sagte er und ließ sich verdrießlich
auf seinen Großvaterstuhl nieder; aber geschwind fuhr er wieder
in die Höhe und schrie „auweh!" denn die Nähnadel hatte
ihn noch schlimmer und nicht in den Kopf gestochen. Nun

war er vollends böse und hatte Verdacht auf die Gäste, die
so spät gestern Abend gekommen waren: und wie er ging
und sich nach ihnen umsah, waren sie fort. Da that er einen
Schwur, kein Lumpengesindel mehr in sein Haus zu nehmen,
das viel verzehrt, nichts bezahlt, und zum Dank noch, oben-
drein Schabernack treibt.

Münchener Bilderbogen.
2. Auflage.

t*l <>. K73

Kgl. Hofbnchdruckerei von Oe. C. Wolf L Sohu iu Di ü ucke u.

Herausgegebeu und verlegt vou Braun L Schneider iu Müuchcu.
 
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