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Münchner kunsttechnische Blätter — 2.1905-1906

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Nr. 23
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Lamm, Albert: Warum Temperafarbe? [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36596#0094
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Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 23.

Wert. Sie ist ein trauriges Attraktionsmittel, wel-
ches nur für die Ausstellung da ist; einen intimen
Raum, in welchem ein solches beständiges Forte-
fortissimo der Farbe sympathisch wirkt, kann man
sich schwer vorstellen. Kurzum, was hier Oelfarbe
leistet, bedarf keiner Steigerung. Was dann endlich
die mit der Temperafarbe mögliche feinste Detail-
lierung der Ausführung betrifft, so mag vielleicht
diese mit Oelfarbe unerreichbar sein; aber wir sind
leider in diesem Punkte fast alle „verdorbene"
Kinder unserer Zeit und empfehlen Freunden einer
„sorgfältigen" Ausführung, sich gute Photographien
zu kaufen. Also auch damit würden die groben Nach-
teile der Temperatechnik nicht auszugleichen sein.
Um es kurz zu sagen: Der Vorzug der Tempera-
farbe besteht darin, dass sie weit über das mit Oel-
farbe erreichbare Mass hinaus seltene, ausdrucks-
volle, innerlich reiche und eindringliche Farben,
enorm charakteristische Farben zu liefern vermag.
Es ist allerdings sehr schwierig, über diese
Dinge mit Nachdruck zu reden. Hundertmal stösst
man, in schriftlichen und mündlichen Aeusserungen,
auf den trivialen Satz: alles Raffinement der Farbe
sei etwas spätes, überreiztes, mehr künstlich als
Kunst, und lenke von den besten Problemen der
Malerei ab. Ich möchte nur die Gründe solcher
Meinung wissen. Wenn ein Mensch den Klang
einer Bierüdel von einer Amatigeige nicht unter-
scheidet, wenn er ein 300 Mk.-Klavier neben einen
Blüthnerflügel stellt, so gilt er ohne weiteres als
unmusikalisch. Und nicht nur bei solchem Extrem
brauchen wir zu bleiben. Auch darüber darf man
in Musikerkreisen sich unterhalten, ob Weingartners
Orchester für Beethoven nicht einige Herbheit des
Klanges entbehrt, oder ob man in einem Bach-
Konzert durch Wiedereinführung des Cembalo im
Genüsse sich beeinträchtigt fühlt, ohne darum für
nervös-überreizt und an Raffinements sich verlierend
bezeichnet zu werden. Ganz anders aber bei der
Farbe. Wenn da nur von Temperament, Auffassung,
Stil oder sonst etwas geredet werden kann, so ist
man zufrieden, und unter Liebhabern wie Künst-
lern ist die Zahl derer gering, welche für das
Auskosten aller Reize und aller Kräfte der Farbe
organisiert sind. Dass die Alten, vor allem die
germanischen Maler von Van Eyck bis Rembrandt
und Rubens, ob ihre Farben nun laut oder leise,
kraftvoll oder zart waren, immer ein Aeusserstes
an Gefühl für die feinste Nuance haben, bemerken
eben auch nur die wenigen, die für Farben empfäng-
lich sind; so bleibt dann der Satz ein teures Ge-
meingut: dass „Raffinement der Farbe" etwas
spätes, schwächliches, von starken Problemen ab-
ziehendes sei. Dass es Maler gibt, welche mit
grossem Farbenraffinement nichts als leere Nichtig-
keiten malen, steht ja nun freilich ausser Frage;
aber da ist dann doch eben die Leerheit, nicht
die Farbenfeinheit zu tadeln.
Diese Einschaltung mag scheinbar mit tech-

nischen Dingen wenig zu tun haben; und doch
sollte gleich der Einwendung vorgebaut werden,
dass die folgenden Ausführungen etwa künstlerisch
ganz unwichtigen Dingen gelten. Gehen wir nun-
mehr mitten ins Praktische.
Auf welche Weise lassen sich nun mit Tem-
perafarbe ganz besondere Farbenwirkungen erzielen?
Es gibt da drei Möglichkeiten.
Erstens kann eine Temperafarbe als Unter-
malung ein Bild soweit vorbereiten, dass die Oel-
farbe, wenn sie zuletzt nur in einer Schicht auf-
getragen wird, vollständig wie Prima-Malerei wirkt.
Das heisst, jeder Pinselstrich behält seinen selbst-
ständigen Charakter, halbdeckende Farbe modelliert
schön, weil die feine Linienführung der Pinselhaare
deutlich bleibt, und was man von der Untermalung
stehen lässt, spricht deutlich mit, weil der glasigere
Charakter der Tempera sich stark vom fetten Salben-
Charakter der Oelfarbe unterscheidet. In welcher
Weise Böcklin diese Technick verwendete, erfuhren
wir neulich aus Bergers Buch. Aber auch für eine
breit und kräftig vor der Natur hingesetzte Arbeit
ist diese Technik von Wert. Es gibt da zahllose
Möglichkeiten und nur als Beispiel sei eine genauer
dargestellt. Man fertigt sich etwa von einer Natur-
erscheinung eine kleine, schnellste Oelskizze, die
den Charakter der Erscheinung knapp und deutlich
festhält; hiernach malt man im Atelier das Bild in
Tempera als grosse Wiederholung der Skizze, wo-
bei man sich schon sehr schön überlegen kann,
wie die eigentliche Ausführung des Bildes anzu-
packen ist. Diese Tempera-Untermalung kann in
3—4 Tagen gemalt, getrocknet, mit dünnem Ter-
pentinfirnis versehen und abermals getrocknet sein.
Nun wird das Bild mit einer quer durchgeschnitte-
nen Zwiebel abgerieben, oder mit dünner Ochsen-
gallenlösung (5 g Ochsengalle in 100 ccm Wasser,
einige Tropfen ßprozentiges Karbolwasser) ange-
feuchtet. Auch das ist schnell getrocknet. Gerät
es nun, vor der Natur eine gleiche Stimmung wie-
derzufinden, so malt es sich auf dieser Untermalung
leicht und fein. Natürlich ist häufig die Tempera-
farbe beim Firnissen etwas zu dunkel geworden;
aber dann kann gerade jeder Oelfarbenstrich um
so klarer sitzen. Oder man malt mit der Tempera
absichtlich wesentlich zu hell, um später gelegent-
lich mit blossen Lasuren auszukommen. Oder man
lässt ganze Partien in Tempera stehen, deren Ton-
werte einen guten Charakter haben, und zeichnet
nur mit der Oelfarbe hinein. Das hängt eben alles
vom Thema und vom Geschmack des Malers ab. —
Bei diesem Verfahren mit Tempera vor der Natur
zu malen ist mir persönlich unbehaglich; denn es
erscheint mir als das rätlichste, wenn diese Unter-
malung noch keine Werte hat, die man später
schonen möchte. Auch ist wohl die Spannkraft
bei der wichtigen letzten Arbeit am grössten, wenn
alle vorbereitenden Arbeiten mit rechter Handwerks-
Bequemlichkeit erledigt sind.
 
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