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Münchner kunsttechnische Blätter — 3.1906/​1907

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Nr. 1
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Struck, Hugo: Die Geheimnisse der alten Meister
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https://doi.org/10.11588/diglit.36595#0006
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Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. i.

wie unter ein Wort, unter ein Gesetz gebannt.
Wohl fragte ich auf meinem Lebensweg hier
und dort mir begegnende Persönlichkeiten, von
denen ich vermutete, sie müssten mir doch einen
kleinen Wink geben können, wie ich zum Ziel
gelangen oder wenigstens welche Richtung ich
einschlagen könne — doch stets vergeblich. Die
Kunst lässt sich nicht lehren, wers nicht kann,
der lernts auch niemals — war noch das Beste,
was ich zu hören bekam. Die aber, die da sagten :
„Das ist ja gar nicht so schwer; schauen's, das
müssen Sie einfach so und so machen," das
waren die, welche sich am meisten auf dem
Holzweg befanden.
Wie viele junge Leute mit glühender Be-
geisterung sind nicht im Laufe der Zeit von
aller Herren Länder, wohl ausgerüstet mit Sti-
pendien und Studienmitteln, nach Rom gepilgert,
um dort an Ort und Stelle etwas zu erhaschen?
Aber keiner brachte irgend etwas Positives mit
nach Hause. Im Gegenteil, die meisten waren
durch die gänzliche Hoffnungslosigkeit, etwas
Aehnliches fertig bringen zu können, derartig ent-
mutigt, dass sie sich gänzlich von den alten
Meistern abwendeten und zur modernen Rich-
tung übergingen. Einige aber legten Pinsel und
Palette fort, um sie nie wieder zu ergreifen. Lieber
nur ein erster Zeichner sein als ein Stümper in der
Malkunst: so mochten sie ungefähr gedacht haben.
Mir, der ich nie das Glück hatte, den Boden
Italiens zu betreten, sollte es Vorbehalten sein,
die Malkunst der alten Meister in einem günstigen
Augenblick zu durchschauen und zu erhaschen.
Doch ganz anders als ich es mir hätte vorstellen
können! Es kam so. Gern und oft weilte ich da-
mals im alten Museum in Berlin und forschte
sehnsuchtsvoll nach irgend einem Anhaltspunkt,
wie es denn menschenmöglich gewesen sei, solche
herrliche Arbeit anzufertigen. Oft habe ich das
getan; aber obwohl ich beim Radieren eines Menzels
Gedanken bis ins Innerste zu ergründen fähig war,
wie er mir wiederholt zugab, hier vor diesen Wer-
ken blieben meine Forschungen stets ohne Erfolg.
So stand ich eines Tages auch wieder in
solche stumme Fragen versunken vor dem Por-
trät des Jakob Muffel von Albrecht Dürer. Doch
wie immer, wollte mir auch dieses Mal keine
Antwort zuteil werden. Da huschte plötzlich ein
Sonnenstrahl über das Bild, verweilte dort ein
paar Sekunden und verschwand wieder. Dieser
winzige Augenblick aber hatte mir genügt, das,
was ich in langen Jahren nicht hatte ergründen
können, mit einem Blick zu durchschauen und
was für ewig verloren schien, mir unzweideutig
zu offenbaren. Die Sonne hatte es buchstäblich
an den Tag gebracht.
An dem Ohr des Jakob Muffel hatte ich
nämlich die Abdrücke von Albrecht Dürers Finger-
spitzen erkannt, dicht bei dicht.

Wie Schuppen fiel es mir von den Augen.
Um die Farbe mit der Fingerspitze vertupfen
zu können, musste die darunter befindliche durch-
sichtig dünne Farbschicht sehr gut getrocknet
sein. Das Bild konnte also erstens nur mit Oel-
farben gemalt sein, da Tempera- oder Aquarell-
farben eine solche Behandlungsart nicht vertragen.
Durch dieses Vertupfen auf einer trockenen Farb-
schicht aber war es zweitens überhaupt nur mög-
lich, solche fein abgewogene Modellierung der
Formen herzustellen.
So also oder wenigstens in demselben Sinn
musste ich vorgehen, um solche weiche Ueber-
gänge und Tonschwingungen herauszubekommen.
Ein Blick noch auf die Werke der anderen alten
Meister, und ich hatte mich davon überzeugt,
dass nicht allein Dürer, sondern fast alle alten
italienischen und deutschen Meister dasselbe Prin-
zip durchgeführt haben mussten, wenn ich auch
nirgends wieder Fingerabdrücke zu sehen bekam.
Schnell eilte ich nach Hause, ins Atelier.
Eine gerade beendigte Halbaktstudie musste mir
zum Objekt dienen. Nachdem ich die Umrisse
der Figur aufgezeichnet hatte, unterlegte ich,
wie es Dürer bei seinem Bild auch getan haben
musste, das ganze Fleisch mit einem transparenten
Ton, und als dieser tags darauf trocken war,
brauchte ich nur mit der weisslichen hellen Fleisch-
farbe die lichteren Partien darauf zu modellieren
und einige Kernschatten einzutragen, um das Pro-
blem praktisch gelöst zu haben.
In einer einzigen Stunde war ich (wenn auch
nur flüchtig) imstande gewesen, einen Halbakt
viel vollkommener zu modellieren, als es mit
modernen Mitteln in einem Zeitraum von sechs
Wochen und sehr unvollkommen möglich ist.
In der Praxis hatte ich nun freilich das Rätsel
gelöst, und das war gewiss eine sehr wichtige
Sache. Aber von welchem Gesichtspunkt aus
waren die alten Meister auf diese höchst eigen-
tümliche Art, die so sehr viel praktischer ist als
die unsrige, verfallen? Das war die nächste Frage,
die sich mir aufdrängte, bis ich auch für sie die
richtige Antwort finden sollte.
Ich hatte hier und dort von guten Büchern
gehört, aus denen ein Maler viel Nützliches lernen
könne. So hatte ich mir nach und nach eine kleine
Bibliothek zusammengekauft. Da kamen mir denn
auch eines Tages farbenphysiologische und op-
tische Abhandlungen in die Hände, und aus
ihnen sollte mir Antwort auf meine Frage wer-
den. Eine ganz andere allerdings, als ich je hätte
ahnen können.
„Die Farbe ist eine Erscheinung, her-
vorgerufen durch die Geschwindigkeit der
Lichtstrahlen, mit welcher diese den Kör-
per durchdringen."
So lehrte mich die Physiologie, und auf die-
sem kurzen, aber inhaltreichen Lehrsatz beruht
 
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