München, l.Okt. 1906.
Beitage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint 14tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.
I!L Jahrg. Nr. 1.
Inhalt: Die Geheimnisse der alten Meister. Von Hugo Struck. — Bieiweiss oder Zinkweiss? Mitteilung aus dem Labora-
torium der Hochschule für die bildenden Künste in Berlin von Prof. Dr. E. Täuber. — Anfragen und Beantwortungen.
Die Geheimnisse der alten Meister.*)
Von Hugo Struck, Maler und Radierer.
„Natur und Kunstwerke lernt man nicht
kennen, wenn sie fertig sind; man muss sie im
Entstehen aufhaschen, um sie einigermassen zu
begreifen." So schreibt Goethe 1803 an Zelter.
Niemals ist ein wahreres Wort über die Kunst
ausgesprochen worden ais dieses. Für Laien und
Liebhaber mag es ein Trost sein, dass ihnen
häufig gerade die grössten Künstler, die alten
Meister, unverständlich sind. Für mich als aus-
übenden Fachmann aber war dieses stets die trost-
loseste Erkenntnis, die es geben konnte. Ver-
geblich haben sich die Maler seit der Blütezeit
der Renaissance bemüht, so hohe Kunst wieder
neu erstehen zu lassen. Schon die Spanier und
Holländer standen nicht mehr auf der gleichen
Höhe wie die Deutschen und die Italiener: sie
stellten ihren persönlichen Geschmack und ihre
persönliche Art in äusserlichen Dingen höher als
die klassische Ueberlieferung. Auch die Prä-
rafaeliten Overbeck u. s. w. konnten trotz der be-
wundernswertesten Energie und Tatkraft nicht
bis zum Kern der Sache dringen.
Von Generation zu Generation standen die
Maler immer hoffnungsloser vor dem Problem
der klassischen Malerei. War es da ein Wunder,
dass sie sich allmählich daran gewöhnten, diese
*) Die Abhandiung ist im Frühjahr dieses Jahres als
Manuskript gedruckt (Grunewald b. Berlin) erschienen. Herr
Kollege Struck hat uns dieselbe zum Wiederabdruck zur Ver-
fügung gestellt und sagen wir ihm hierfür besten Dank. Ob-
wohl auf die in dieser Abhandlung dargelegten Prinzipien
schon mehrfach, u. a. von Heinr. Ludwig in dessen Werke
„Ueber die Grundsätze der Oelmalerei und das Verfahren der
klassischen Meister", hingewiesen wurde, dürfte dennoch die
Art der Begründung für unsere Leser von besonderem Inter-
esse sein. Wir behalten uns vor, auf Einzelheiten gelegent-
lich zurückzukommen.
unlösbaren Probleme ganz aus ihrem Gesichts-
kreis zu lassen und nur noch die Natur abzu-
malen, wie sie sie sahen. (Wenn ich hier und im
folgenden die moderne Kunst angreife, so greife
ich ihre Technik an, nicht etwa die geistige Be-
deutung ihrer Träger.) Wir konnten die Kunst
der alten Meister nicht mehr kennen lernen, weil
wir sie nicht mehr im Entstehen aufhaschen
konnten. Das heisst, kein Meister lebte noch,
der sie uns hätte zeigen können.
Zu meinem grössten Glück kam ich erst mit
20 Jahren zum Studium der Malerei auf die Kunst-
schule nach Weimar. Ich erkannte sehr bald die
gänzliche Aussichtslosigkeit, mit modernen Hilfs-
mitteln die Malerei der alten Meister erlernen zu
wollen. Von Anfang an war ich vielmehr der
Ansicht, dass man die Bilder der alten Meister
erst dann vollwertig zu kopieren oder nachzu-
ahmen imstande sein könne, wenn man sich über
die Entstehungsart vollständig im klaren sei. So
lange ich das nicht erhaschen konnte, enthielt
ich mich lieber gänzlich des Malens. Gewiss trieb
mich ab und zu dennoch die Sehnsucht zur Ma-
lerei, aber kaum hatte ich eine Studie fertig, so
missfiel mir diese derartig, dass ich es immer
wiederaufgab, wenn auch die Kollegen manchmal
lobend und anerkennend sich darüber äusserten.
Doch es sollte keine leichte Aufgabe für
mich sein, hinter die Geheimnisse dieser Kunst
zu kommen. Das ist ja auch kein Wunder, wenn
man die unbegreifliche Vollendung ihrer Werke
bedenkt! Nirgends etwas Unfertiges oder Skizzen-
haftes, an dem man etwas von der Entstehungs-
art hätte erhaschen können. Nirgends etwas Ver-
fehltes oder nachlässig Behandeltes, überall die
höchste und für uns geheimnisvolle Meisterschaft,