München, 5. Mg. 1907.
Beitage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint <4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.
IH.Jahrg. Nr. 22.
Inhalt: Ueber die Technik der aiten Meister der klassischen Zeit, beurteiit nach mikroskopischen Unter-
suchungen von Bruchstücken ihrer Gemäide. Von Professor Dr. Ed. Raehhnann-Weimar. — Ueber
die Untersuchung der Oelfarben auf die Art und Menge der Bindemitte!. Von Georg Büchner-München.
(Schtuss.) — Neue Materfarben. V. Die Temperafarben des Handeis. Von E. Berger. (Fortsetzung.)
— Fixativ „Resinit".
Ueber die Technik der alten Meister der klassischen Zeit, beurteilt nach
mikroskopischen Untersuchungen von Bruchstücken ihrer Gemälde.
Von Professor Dr. Ed. Raehtmann, kaiseri. russ. wirk!. Staatsrat in Weimar.
Die Untersuchungen, weiche bisher über die
Technik der Maierei bei den Meistern des 14.,
15. und 16. Jahrhunderts angesteiit worden sind,
haben keine einheitliche Methode ihrer Maiweise
aufgedeckt. Diese Untersuchungen sind grössten-
teils auf das mehr oder weniger zuverlässige Ur-
teil sachverständiger Künstler, welches nach dem
Augenschein abgegeben wurde, begründet, teils
auf die Befunde gestützt, welche hervorragend
befähigte Restaurateure beim Abnehmen verschie-
dener Schichten von der Oberfläche der Gemälde
oder auch beim Uebertragen derselben von dem
einen Grunde auf einen anderen, von deren Rück-
seite gewonnen hatten. Obwohl diese Unter-
suchungen in Verbindung mit einer sachkundigen
Schriftforschung, welche die auf uns gekommenen
Malerbücher und Rezepte der Alten bei Heraklius,
bei Theophilus, Plinius, dem Strassburger-, dem
Bologneser- usw. Manuskripte revidierte, unsere
Kenntnisse über das Malverfahren der Alten er-
weitert und zum Teil gänzlich verändert haben,
so herrscht dennoch über das Malverfahren, wel-
i) Die freundliche Erlaubnis, diese unsere Leser
gewiss interessierende Abhandlung hier zum Abdruck
zu bringen, hat uns Exzell. Prof. Raehlmann gelegent-
lich eines Aufenthaltes in Weimar kürzlich erteilt.
Dabei hatte er die Liebenswürdigkeit, uns an einer
ganzen Reihe der mikroskopischen Präparate die Tat-
sachen zu demonstrieren, die in der Abhandlung be-
sprochen sind. Auf die Wichtigkeit der neuen Me-
thode ist bereits in dem Artikel „Gemälde unter dem
Mikroskop" von Geh. Hofrat Prof. Dr. Ostwald
(Nr. ti und 12 dieses Jahrgangs) hingewiesen worden
und behalten wir uns vor, gelegentlich auf Einzelheiten
zurückzukommen.
ches die berühmten Malerschulen der Niederländer,
der Altdeutschen und Italiener angewandt haben,
durchaus keine klare Vorstellung. Insbesondere
haben diese Forschungen absolut keine einheit-
liche Vorschrift hinterlassen, nach welcher sich
unsere Maler richten könnten, um das wesentliche
der alten Kunst, welche das glanzvolle Kolorit
der alten Meister auf ihren Bildern durch die
Jahrhunderte ungeschwächt erhalten hat, nachzu-
ahmen. Nach dem Stand unserer heutigen Kennt-
nisse kann es keinem Zweifel unterliegen, dass
die alten Meister über Malmittel, insbesondere
Bindemittel verfügt haben, die wir leider nicht
mehr besitzen, und dass anderseits ihre Technik
im Aufträgen der Grundierung und der Farben
eine eigenartige war, deren Einzelheiten uns trotz
der Ueberlieferungen durch die teilweise absicht-
lich unklar gehaltenen Manuskripte nur ganz un-
vollkommen und für ihre Nachahmung völlig un-
zureichend bekannt sind. Nach den Schilderungen
der Zeitgenossen der grossen Meister der ge-
nannten klassischen Zeit haben die Maler nass in
nass gemalt und ihre Farben durch ein Zusatz-
mittel beliebig lange (?) feucht erhalten, also auch
beliebig rasch trocknen lassen können, ohne dass
der eigentliche Farbenton Veränderungen durch
Einschlagen erlitten hätte, oder dass man rein
deshalb beim Weitermalen eines Firnisses bedurft
hätte. Andererseits war die Zubereitung und
Wahl der Farben und die Art ihres Auftrages in
nach ihrem Lichteffekt wohlberechneten Schichten
eine innerhalb der Gilden in den Malerschulen
gepflegte, offenbar mit den Erfahrungen des Hand-