München, 15. Okl. 1906.
Beitage zur „Werkstatt der Kunst" (E.A. Seemann, Leipzig).
!H. Jahrg. Nr. 2.
Erscheint 14tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.
Inhalt: Die Geheimnisse der alten Meister. Von Hugo Struck (Fortsetzung). — Malgrund von G. Bakenhus. — Die Mal-
technik Rembrandts.
— Literatur.
Die Geheimnisse der alten Meister.
Von Hugo Struck, Maler und Radierer.
(Fortsetzung.)
Zum weiteren Beleg, dass die alten Meister
auch tatsächlich gut unterrichtet in optischen
Dingen waren, fand ich später noch heraus, dass
bereits 300 Jahre vor Christi Geburt Aristoteles
einen fast gleichlautenden optischen Lehrsatz
niedergeschrieben hat, der lautet: „Jeder Kör-
per wird seiner Eigenfarbe teilhaftig, durch das
Durchsichtige, das in ihm ist", und Aristoteles'
Werke waren stets enthalten in den Bibliotheken
der Gelehrten, der Geistlichen, der vornehmen
Welt der Mediceer u. s. w.
Durch die Vererbung vom Meister auf den
Schüler blüte die Renaissance, die immer aufs
neue kehrende Wiedergeburt der höchsten Kunst,
so durch mehrere Jahrhunderte ruhig weiter, bis
die Ueberlieferung aus irgend welchen Gründen
aussetzte und an Stelle der strengen klassischen
Schule der abweichende Geschmack des einzelnen
und die äusserliche Individualität jede Wieder-
geburt unmöglich machten.
Wie schmerzlich berührt es uns, wenn wir
sehen, wie die edelsten heutigen Kunstschöp-
fungen — der Meister ist manchmal sogar noch
unter den Lebenden — jämmerlich zu Grunde
gehen! Wo sind eines Hans Makarts farbenpräch-
tige, sonnige Schöpfungen geblieben? Sie exi-
stieren wohl noch, aber eine trübe Schwärzung
der unsolide und dick aufgetragenen Farbe hat
ihnen ihre einstige Schönheit zerstört und den
Wert vernichtet. Was werden wir von Lenbachs
schönen Porträts in fünfzig Jahren noch übrig
haben? Sind doch die meisten von ihnen nur
auf geleimte Pappe gemalt, und dunkelten doch
seine vor dreissig Jahren gemalten Arbeiten be-
reits so stark nach, dass von Schönheit nicht
mehr gut die Rede sein kann. Wie lange wird
es dauern und Adolf Menzels „Tafelrunde" ist
nicht mehr? Fängt doch seit langer Zeit die
Farbe an zu reissen und sich von der Leinwand
in die Höhe zu krümmen, um demnächst abzu-
fallen. Wie schade um das Vermögen, welches
in solchen Kunstwerken steckt; es ist rettungs-
los verloren. Und das waren noch die besten
unter den heutigen Malern. Da wird mit Kasef'n-
farben, Eitempera, Raffaellistiften herumexperi-
mentiert und alle möglichen sogenannten Tech-
niken werden ersonnen. Nur von den Ueberliefe-
rungen der alten Meister will niemand etwas
wissen, weil ein jeder die Mühe und Arbeit scheut.
Und wie haben ihre Werke ihrer Voraus-
sagung entsprochen, dass sie länger Vorhalten
würden als die Marmorfiguren der Bildhauer!
Sie stehen heute noch, nach vier- bis fünfhundert
Jahren, vor uns, als wären sie gestern erst ge-
malt worden. Was bedarf es aber weiter noch
für Beweise, welches die dauerhafteste und die
rationellste Malart ist?
Freilich mussten sie in den Werkstätten ihrer
Meister das nötige Handwerk gründlich und ge-
wissenhaft ausüben lernen: Die Farben, jede nach
ihrer Eigenart, mit dem ihr allein zusagenden
Bindemittel anreiben. Die Oele pressen und rei-
nigen. Die Firnisse kochen Den Malgrund für
die Holztafeln oder die Leinwand sachgemäss
herstellen. Dann erst wurden sie zu mehr künst-
lerischer Tätigkeit, als Gehilfen bei Herstellung
der Bilder ihrer Meister, zugelassen und mussten
von Anfang an verantwortungsvoll arbeiten lernen
Nicht brauchten sie ohne besonders vorgezeich-
netes Ziel jahrelang Studien zu malen und Akte