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Münchner kunsttechnische Blätter — 3.1906/​1907

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Nr. 3
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Berger, Ernst: Neue Malerfarben, [1]: I. Professor Ph. Fleischers Meisterfarben der Renaissance
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Obst, Walter: Der Entdecker der Anilinfarbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.36595#0015

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Nr. g.

Münchner kunsttechnische Blätter.

11

wertlos bleiben. Nach Ruskins Worten ist die vollendete Tech-
nik sogar ein Beleg für jede andere Tüchtigkeit: „Grosse Künst-
ler waren und sind auf ihr technisches Können immer stolz,
während die Untergeordneten sich beständig der Notwendig-
keit tüchtiger Arbeit zu entziehen versuchten, indem sie ent-
weder entzückt von einem Gegenstand schwärmen oder sich
mit ihren edleren Motiven brüsten, während sie in Angriff
nehmen, was sie nicht vollenden können."
Die Geschichte der Kunst führt uns auch die „Notwen-
digkeit tüchtiger Arbeit" fortwährend vor Augen und ein Ver-
gleich der Namen, die sie in ihren Annalen erwähnt, mit denen,
die uns durch die Verzeichnisse der Künstlergilden erhalten
sind, bezeugt, dass sie nur denen eine Heimstätte gewährt, die
kraft ihres Könnens, kraft der Fähigkeit und Fertigkeit, bild-
liche Vorstellungen zu neuen Bildern zu verdichten, Anspruch
darauf haben.
Die alten Meister legten dem technischen Können und
dem Bestreben sich dasselbe anzueignen, eine Bedeutung bei,
die sich am deutlichsten darin ausspricht, dass sie von ihren
Schülern eine äusserst lange Lehrzeit verlangten. So berichtet
Cennini, dass er selbst 12 Jahre bei Angelo Gaddi, dessen
Vater Taddeo aber 24 Jahre bei Giotto als Schüler gewesen
sei. Cennini, der einen genauen Plan der Studienjahre ent-
worfen hat, verlangt, dass das erste Studienjahr dem Zeichnen,
die nächsten sechs Jahre dem Farbenreiben, Farbenbereiten,
Grundieren etc. und die übrigen sechs Jahre dem Malen ge-
widmet sein sollen.
Wie sehr die alten Meister den handwerklichen Teil ihrer
Kunst beherrschten, mag beispielsweise aus den Bildern Ti-
zians in der Madrider Galerie hervorgehen, von denen Lenbach
sagte: „Man vergisst ganz und gar, dass man Malereien vor
sich hat, so wird man durch das Unfassliche, Märchenhafte,
das Mystische dieser Werke hingerissen." In ähnlicherWeise
schreibt Shelley in einem Brief über Rafaels heilige Cäcilie
in Bologna: „Du vergissest im Anblick des Gemäldes, dass
es ein Gemälde sei." Und von Velasquez Bildern sagte Raphael
Mengs, sie seien mit nichts, mit dem blossen Willen gemalt.
Die intime Zusammengehörigkeit des geistigen und tech-
nischen Teiles der Kunst dokumentiert sich überhaupt am deut-
lichsten in den geistig feinsten Künstlern, die stets hervor-
ragende Techniker waren. Es hat geradezu den Anschein, als
ob sie nur um dieser Fähigkeiten willen so hoch über dem
Niveau der Masse stehen, denn durch die absolute Beherr-
schung des Materiellen als Ausdrucksbedingung des Geistigen,
kann sich die ganze Kraft auf dieses konzentrieren, während
bei mangelhaftem technischen Können der Geist stets gebun-
den ist oder doch nur in beschränktem Masse sichtbare Form
erhält. Die Blütezeiten der Malerei waren bedingt durch die
Vollkommenheit der Technik. Das Bestreben der Alten war
darauf gerichtet, dieselbe immer mehr zu verbessern und eine
sichere Grundlage dafür zu schaffen, was aus der zahlreichen
Literatur hervorgeht, in der sie ihre persönlichen Erfahrungen,
die Resultate ihrer Beobachtungen und Versuche niederlegten.
Schon zu Beginn des XV. Jahrhunderts entstand eine Anzahl
kunsttheoretischer Schriften, die sich mit rein technischen Fragen
befassten und als sogenannte Malgeheimnisse betrachtet wurden.
Die Existenz solcher Geheimnisse wurde und wird vielfach be-
stritten, wenngleich schon die Tatsache, dass wir heute noch
vor mancher alten Maltechnik wie vor einem unlösbaren Rätsel
stehen, dafür spricht. Der beste Beweis dafür, dass gewisse
technische Manipulationen und Malmittel als Geheimnisse ge-
wahrt wurden, geht aus alten Maler-Statuen hervor, nach denen
die Lehrlinge schwören mussten, nichts von den Geheimnissen
auszuplaudern. In einem Passus in der vor dem Brand in der
Strassburger Bibliothek aufbewahrten ältesten deutchen Mal-
vorschrift heisst es: „Umb die oli wessent nit alle moler."
So erwähnt auch Dürer in einem Brief an Heller einen Firnis
„den man sonst nicht machen kann" und der sich, wie er be-
tont, besonders durch Farblosigkeit und Festigkeit auszeich-
nete. Auch die vielen sich widersprechenden, fast zur Sage
gestaltenden Berichte über die Erfindung von van Eyck, wie
auch die alten Malrezepte selbst, die nicht selten mit geheimen
medizinischen Rezepten zusammengeschrieben waren, deuten
auf wohlmotivierte Geheimnisse hin.

Jedenfalls müssen wir uns eingestehen, dass wir über die
Technik und das Material der Alten herzlich wenig wissen,
namentlich in Bezug auf die untersten Bildschichten. Mit Recht
konnte Springer sagen: „Wir tappen hierüber im Dunkeln und
befinden uns regelmässig, wie die zahlreichen misslungenen Ko-
pien beweisen, in arger Verlegenheit, wenn es sich darum
handelt, ältere Gemälde in ihrem ursprünglichen Zustand wieder
vor Augen zu führen." Lenbach und Wolf haben zwar aus-
gezeichnete Kopien nach Werken alter Meister gemacht, aber
viel mehr als die Epidermis haben auch sie nicht wiederge-
geben und wenn man ihre Kopien heute mit den Originalen
vergleicht, so wird man sehen, welch' gewaltiger Unterschied
hinsichtlich des Materials und dessen Verwendung zutage tritt.
Lenbach sagte auch einmal anlässlich seiner Tizian-Kopien zu
Dr. Georg Hirth: „Es sei ihm unmöglich gewesen, die delikate
und komplizierte Technik Tizians genau zu erkennen, ge-
schweige denn sich anzueignen."
Vergleichen wir die heutigen Kopien mit den Originalen,
so erweist sich zur Evidenz, dass wir mit unsern Malmate-
rialien nicht in der Lage sind, mit jenen alten Meistern in
die Schranken zu treten. Dies gilt aber nicht nur hinsicht-
lich des technischen Teiles der Malerei, sondern auch hinsicht-
lich des rein künstlerischen. Der Kampf mit dem unverläss-
lichen Material, die ganze technische Haltlosigkeit muss ja
auch naturgemäss auf die künstlerische Ausdrucksfähigkeit be-
einträchtigend wirken und die Worte, die Lenbach im Jahre
1893 sprach, sind nicht so ungerechtfertigt als man behauptet.
Er sagte damals: „dass trotz des Mode gewordenen Geredes,
dass wir gegenwärtig uns einer hohen Blüte der Kunst zu er-
freuen hätten, alle Einsichtigen darüber einverstanden sind,
dass wir zu einem sehr niedrigen Stande der KunstübuDg und
des Kunstverständnisses gelangt sind, umgekehrt wie die
Wissenschaften, die in erfreulichem, ununterbrochenem Auf-
steigen begriffen sind."
Was uns heute fehlt, das ist vor allen Dingen die Er-
kenntnis, dass die Basis jeder gesunden Kunstübung im Hand-
werklichen beruht. Das Handwerk, von dem die ganze Kunst-
auffassung der alten Meister ausging und das sie zu künstle-
rischen Höchstleistungen befähigte, das ist heute aus der Ma-
lerei verschwunden und zwar derart, dass unsere Künstler an-
statt ihr Material zu beherrschen, von diesem beherrscht werden.
(Fortsetzung folgt.)
Der Entdecker der Anilinfarbe.
Von Dr. Walter Obst.
Die Royal Society hat soeben den englischen
Chemiker Sir William Perkin als den Begründer der
Teerfarbenindustrie vor 50 Jahren in würdevoller
Weise gefeiert und die deutschen Chemiker und Inter-
essenten der Teerfarbenindustrie sind gern dem Ruf
nach Beteiligung an dieser seltenen Feier gefolgt.
Selten insofern, als es sogar in der Geschichte der
Zivilisation wohl einzig dasteht, dass derjenige, der
eine Industrie begründete, die Milliarden an Wert
aus einem Abfallprodukt zog, nach go Jahren noch
auf Erden weilt, um die Glückwünsche derer ent-
gegenzunehmen, die das weite Reich erobert hat,
dessen Grenzen er zuerst überschritt. Es muss ge-
wiss anerkannt werden, dass die Ausgestaltung einer
Entdeckung zu einer gewinnbringenden Industrie
sicherlich wirtschaftlich oft die bedeutendere Lei-
stung ist, denn der Erfolg der Praxis entscheidet.
Darüber soll auch hier nicht diskutiert werden; es
handelt sich nur darum, dass man bei dieser Feier
die sehr bedeutenden bahnbrechenden Arbeiten des
Deutschen F. F. Runge völlig übergangen hat, denn
damit haben die beteiligten Deutschen eine unver-
 
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