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Münchner kunsttechnische Blätter — 3.1906/​1907

DOI issue:
Nr. 18
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Zimmern, Helen: Hubert v. Herkomer über Radierkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.36595#0073

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Inhalt: Hubert v. Herkomer über Radierkunst. Von Helen Zimmern. — Zur Frage des Wachszusatzes bei
Oelfarben. II. Ist Wachs den Farben schädlich? Von Maler G. Bakenhus-Kreyenbrück. — Noch etwas
über den Tongrund. Von v. Schönberg. — L. Heerwagens Reduktions-Diagramm für Perspektiven.

Hubert v. Herkomer über Radierkunst.
Von Helen Zimmern.i)

Hubert v. Herkomer, der geniale englisch-
deutsche Maler, der als Ruskins Nachfolger
Professor der schönen Künste an der englischen
Universität Oxford geworden ist, hat unlängst
seine in jener Universitätsstadt gehaltenen Vor-
lesungen über Radieren und Schwarzkunst heraus-
gegeben. Diese Vorträge sind höchst interessant,
nicht allein an und für sich, sondern auch des-
halb, weil sie den Charakter und die Persönlich-
keit des Vorlesers reflektieren, der, obwohl ein
Künstler im idealsten Sinne des Wortes, der
praktischste Mensch von der Welt ist. Auf jedem
Kunstgebiet, dem er sich widmete, hat er stets,
laut seinem eigenen Ausspruch, die Methode be-
folgt, die Sache erst auszuüben, und dann erst
zu erforschen, auf welche Weise sie ihm gelungen
war, sich also durch praktische Versuche zu be-
lehren. Und besonders beim Radieren ist er in
dieser Art verfahren. Ihm fehlte jede Kenntnis
der Technik und sein Erfolg in dieser Kunst ist
einzig und allein der Energie und Beharrlichkeit
seines Strebens zuzuschreiben. Dies ist übrigens
von allen seinen Erfolgen zu sagen, wofür in
seiner Autobiographie, die privatim für den Kreis
seiner Freunde gedruckt ist, zahlreiche Belege
zu finden sind. Es hat wohl kein Mensch mit
mehr Schwierigkeiten und entmutigenden Erfah-
rungen zu kämpfen gehabt und diesen Kampf
siegreicher bestanden. Von der Radierkunst, die
er mit Vorliebe pflegt, spricht er mit einer wahren
Begeisterung:
„Der eigenartige Reiz, den das künstlerische
Radieren, die Tätigkeit des Maler-Radierers, ge-
*) Aus „Die Kunst unserer Zeit" mit freundlicher
Erlaubnis von Franz Hanfstängls Kunstverlag A.-G.,
München, abgedruckt.

währt, ist in Worten schwer zu beschreiben.
Dieser Reiz will eben empfunden sein. Ich ge-
brauche den Ausdruck Radierkunst im weitesten
Sinne, von jeder Manier, selbst die Aquatinta
und ähnliche Arten würde ich so nennen, falls
die Wirkung eine künstlerische ist. In welcher
Weise die Platte auch hergestellt sein mag, ich
bezeichne eben alles mit dem Namen Radierung,
sobald nur das Werk den echten Geist freien
künstlerischen Schaffens bekundet ... Es gibt
keine Merkmale und Normen, woran der wahre
Wert zu erkennen ist; das Echte wirkt anziehend,
das Unechte lässt kalt. Die Radierergabe ist
angeboren; sie kann grossen Malern fehlen und
es mag jemand in seinem Leben weder Pinsel
noch Stift geführt haben und sie dennoch besitzen.
Jahrelang kann sie latent bleiben und dann plötz-
lich zum Leben erwachen, aber sie muss vor-
handen sein — ein Geschenk der Natur. Kein
anderes Mittel des künstlerischen Ausdruckes
versetzt den, der darüber verfügt, in eine gleiche
freudige Erregung. Der Radierer ist wie ver-
zaubert, das Werk, woran er arbeitet, nimmt
seine Sinne derart gefangen, dass eine halb un-
bewusste Tätigkeit seines Gehirnes entsteht und
so unter seinen Händen fast wie durch Zauberei
etwas zur Vollendung gedeiht, was ihm bei kaltem
Blute und ganz klarem, nüchternem Verstände
nicht gelingen würde. Daher ist auch beim
Radieren der Erfolg nie voraus zu bestimmen.
Er hängt von keinen Faktoren ab, die zu kon-
trollieren oder zu berechnen sind . . . Ein Künstler,
der die Natur belauscht, ihre Sprache zu deuten
versucht und sich von ganzem Gemüte sehnt, den
schönen Eindruck, welchen er empfangen, in einer
bleibenden Gestalt wiederzugeben, wird stets der
 
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