Inhalt: Gemälde unter dem Mikroskop. Von Geh. Hofrat Prof. Dr. W. Ostwaid. — Die Abteiiung „Mal-
technik" des Deutschen Museums in München. Von Ernst Berger. — Ein Beitrag zur Perspektive —
aber ein praktischer! Von H. Seeger. — Literatur. — Anfragen und Beantwortungen.
Gemälde unter dem Mikroskop.
Von Geh. Hofrat Prof. Dr. W. Ostwaid.
Heutzutage, wo der harmlose Bilderfreund
angewiesen wird, vor gewissen modernen Werken
so weit wie möglich zurückzutreten, um den
grossen Moment des „Zusammenhiessens" und da-
mit der eigentlichen künstlerischen Wirkung der
FarbHecken, aus denen das Bild besteht, zu erleben,
klingt es wie eine grobe Ironie, dass man Ge-
mälde unter das Mikroskop bringen soll. Auch
ist bei ihren Dimensionen nicht daran zu denken,
sie von vorn mikroskopisch zu betrachten, wohl
aber kann dies von der Seite geschehen.
Es handelt sich, wie vielleicht der eine oder
andere Leser bereits gemerkt haben wird, um
die Ausführung des Gedankens, den ich in einem
früheren Aufsatz (s. auch »Münch, kunsttechnische
Blättere I S. $7) angedeutet habe. Bald nach-
dem ich jene Zeilen geschrieben hatte, erfuhr ich,
dass der Mann, auf den ich die meiste Hoffnung
gesetzt hatte, dass er die Sache machen würde,
auf längere Zeit Europa verlässt.
Der Grund meiner Hoffnungen lag in einem
') Obgleich der Aufsatz bereits vor einiger Zeit
erschien („Die Woche", 1904, Nr. 6 S. 249), bringen
wir ihn hier mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Ver-
fassers zum Abdruck, weil wir glauben, dass der Inhalt
unseren Lesern von Interesse ist. Gleichzeitig machen
wir darauf aufmerksam, dass der geschätzte Autor der
„Malerbriefe" über das gleiche Thema auch in der
kg!, preuss. Akademie der Wissenschaften referierte
(s. Ikonoskopische Studien, Sitzungsberichte 1905, V.,
S. 167), und ausserdem „Ueber die Technik der alten
Meister, beurteilt nach mikroskopischen Untersuchungen
von Bruchstücken ihrer Gemälde" Prof. Dr. E. Raehl-
mann in Weimar vor zwei Jahren einen Vortrag in
München gehalten hat (Separatabdruck im Verlag von
E. Reinhardt, München 1906). Wir behalten uns vor,
über die Ergebnisse dieser Untersuchungen gesondert
zu berichten.
äusserst feinsinnigen und geistvollen Buch, das
der Breslauer Professor der Botanik, Felix Rosen,
vor etwas mehr als Jahresfrist veröffentlicht hatte.
Das Buch heisst „Die Natur in der Kunst". Es
hat zum Gegenstand die Erörterung der Frage,
wie genau die alten Maler von den van Eycks bis
zu den letzten Vertretern der sogenannten grossen
italienischen Periode die Pflanzen und andere natür-
liche Objekte beobachtet und in ihren Rildern
wiedergegeben hatten.
Nachdem diese Hoffnung also versagt hatte,
blieb nichts übrig, als selbst zu tun, was andere
nicht tun wollten. Die Weihnachtsferien wurden
benutzt, um die dem Physikochemiker im allge-
meinen nicht geläufige mikroskopische Technik zu
erlernen. Mein Kollege und Freund Wilhelm
Pfeifer, der berühmte Botaniker, nahm sich des
ältlichen Schülers mit Geduld und Freundlichkeit
an und brachte mir von der Herstellung von Dünn-
schnitten, der Regelung der Beleuchtung, und was
sonst zur erfolgreichen Arbeit nötig erschien, so
viel bei, dass ich die weiteren Schritte allein
wagen konnte. Auch war er so gut, die ersten
Experimente selbst vor meinen Augen auszuführen,
so dass ihm ein wesentlicher Anteil an dem Ge-
lingen des Versuchs zukommt, für den ich ihm
auch hier danken möchte.
Denn um ein Gelingen scheint es sich hier
in der Tat zu handeln; das glaube ich bereits
nach der kurzen Zeit meiner Beschäftigung mit
der Sache sagen zu dürfen. Statt aller theore-
tischen Betrachtungen will ich einfach beschreiben,
was ich gesehen habe.
Das Objekt unserer ersten Forschungen war
ein kleines Oelgemälde, das vor etwa dreissig