Inhalt: Gemälde unter dem Mikroskop. Von Geh. Hofrat Prof. Dr. W. Ostwald. (Schluss.) — Die Abteilung
„Maltechnik" des Deutschen Museums in München. Von Ernst Berger. (Schluss.) — Projektions-
rahmen. — Mitteilungen der Redaktion. — Anfragen und Beantwortungen.
Gemälde unter dem Mikroskop.
Von Geh. Hofrat Prof. Dr. W. Ostwald. (Schluss.)
Die Vergrösserungen, die zu solchen Unter-
suchungen erforderlich sind, bewegen sich in
massigen Grenzen, etwas unter oder über hundert.
Man kann also alle diese Sachen mit einem ge-
wöhnlichen Trichinenmikroskop sehen.
Was kann man nun schliesslich auf solche
Weise erreichen? Die Antwort lässt sich dahin
zusammenfassen: eine unvergleichlich viel genauere
Kenntnis der Bilder bezüglich ihrer Herstellungs-
weise. Eine solche Kenntnis gewährt einerseits
die wertvollsten Anhaltspunkte für die Pflege und
Wiederherstellung wertvoller älterer Bilder, über
die man entsprechende Nachrichten auf andere
Weise nicht zu erhalten vermag. Andererseits
ergibt sie eine unabsehbare Summe von neuen
Momenten für die Kunstgeschichte und die histo-
rische Bilderkritik. Auch hier sollen statt der
theoretischen Auseinandersetzungen einige Beispiele
dienen.
Böcklins Toteninsel im Leipziger Museum
beginnt an der Oberfläche trübe zu werden. Da
dieser Künstler bekanntlich im allgemeinen nicht
mit Oelfarbe, sondern zu verschiedenen Zeiten
seines Schaffens mit sehr verschiedenen Malmitteln
gearbeitet hat, weiss man nichts Sicheres über
die Technik des Bildes, und der gewissenhafte
Restaurator, an den sich die Museumsverwaltung
in der Angelegenheit gewendet hat, lehnte jeden
Eingriff ab, da er keine Gewähr gegen etwaige
Schädigung dieser Kostbarkeit übernehmen konnte.
Eine mikrochemische Untersuchung würde den er-
forderlichen Aufschluss geben, insbesondere er-
kennen lassen, ob es sich nur um eingeschlagenen
Firnis handelt oder um eine Veränderung der
Bildsubstanz.
Ein als Votivbild verwendetes mit dem wohl-
bekannten Malerzeichen Cranachs versehenes Bild,
das gleichfalls dem Leipziger Museum gehört, trägt
eine Jahreszahl, die, wie mir Professor Vogel, der
Kustos des Museums, mitgeteilt hat, die ganze
Chronologie der Werke dieses Künstlers in Ver-
wirrung bringt. Es besteht der Verdacht, dass
jenes störende Datum dem Bild später zugefügt
worden ist. Ist dies der Fall, so muss das Datum
eine Uebermalung darunterliegender Bildschichten
sein, und der Vergleich einer Probe aus der mög-
licherweise übermalten Stelle mit einer zweifellos
intakt gebliebenen Hesse die Frage entscheiden,
denn der Querschnitt muss die bei der Ueber-
malung hinzugefügten Schichten über den ur-
sprünglichen zeigen, ähnlich wie der Querschnitt
bei dem zuerst beschriebenen Fall alle Operationen
gezeigt hat, durch die der Künstler seine Tafel
vorbereitet hatte.
Man ist mit einem Wort durch die mikro-
skopische Untersuchung in den Stand gesetzt, dem
Künstler sozusagen bei seiner ganzen Arbeit über
die Schulter zu gucken, während uns das Bild bei
gewöhnlicher Betrachtung nur die letzte Hand
zeigt, die er oder irgend ein Späterer an sein
Werk gelegt hat.
Ein Wort noch über die etwa mit der Probe-
nahme verbundene Verletzung der Kunstwerke.
Es ist ein besonderer Vorzug der Methode, dass
sie so unglaublich wenig Material braucht. An
einem Schnitzelchen, das man mit blossem Auge
kaum sehen kann, lässt sich in vielen Fällen be-
reits erkennen, was man wissen will, und ein
Stückchen von der Grösse eines Stecknadelkopfes
reicht für eine vollständige Untersuchung. Solche