Nr. to.
Münchner kunsttechnische matter.
39
Laufe des August wurde es in Druck geiegt und
erst im Oktober an die verschiedenen Inter-
essenten versandt. Demgemäss ist das Münchener
Gutachten als letztes von den dreien erst im
Oktober v. J. — also zwei Monate später als
die Lichterfeider Analyse — in den Besitz des
Herrn Hess gekommen.
Wie kann nun der genannte Kunstmaterialien-
händier (welcher übrigens meine Farben nicht
führt) einen Widerspruch zwischen zwei Analysen
feststellen, wenn eine von den beiden zu der
Zeit ihm noch gar nicht vorliegen konnte?
Diese Tatsachen kennzeichnen zur Genüge, wie
dieser Brief des Herrn Lechner „konstruiert" wurde.
Grafrath, den 21. Januar 1907.
Hochachtungsvollst
Fritz Behrendt.
Neue Malerfarben:
II. Bössenroths Tempera.
(Schluss.)
Den oben veröffentlichten Gutachten zufolge
scheint die Bössenroth-Tempera den so verschieden
gearteten Malweisen der Künstler in vielfacher
Hinsicht zu entsprechen. Herr Bössenroth kommt
aber in seinem „Ratschläge, betreffend Tem-
pera-Malmittel" überschriebenen Zirkular den
Wünschen der Maler noch mehr entgegen, indem
er sagt: „Um die leichtflüssige Technik meiner Tem-
pera noch zu steigern, sowie den Tonverände-
rungen sowohl beim Auftrocknen wie beim Fir-
nissen sicher aus dem Wege zu gehen (ebenso
auch ein pastoseres Arbeiten zu erlauben) ist es
ratsam, ein Malmittel in Anwendung zu bringen."
Als solche Malmittel könnten alle bekannten
„eigenen Malmittel" der Künstler dienen, ausser-
dem die folgenden altbewährten einfachen Hilfs-
mittel, die frisch verwendet von absoluter Halt-
barkeit sind. Dazu werden empfohlen:
1. Honig, mit wenig Wasser streichfähig
verdünnt (trocknet langsam und klar);
2. frisches Eigelb (kann mit ganz wenig
Wasser verdünnt werden);
3. frisches Eiweiss (geschlagen), gut für
Lasuren, trocknet etwas rascher als I und 2, ist
im allgemeinen vorsichtig zu behandeln;
4. das fertige Malmittel in Tuben,
eignet sich besonders für Arbeiten, die unge-
firnisst bleiben sollen (wird wie auch 1 und 2
unverwaschbar);
5. „Müller-Coburg"-Malmittel (in Fla-
schen)^) bleibt lange nass (besonders durch Nass-
halten der Leinwand von rückwärts, was auch
') Dieses Malmittel ist als eine Gummi-Oel-
Emulsion zu betrachten.
bei sämtlichen anderen Malmittein empfehlens-
wert ist), man kann auch das Malmittel als pro-
visorischen Firnis benutzen und näss hineinarbeiten,
es schliesst den Vorteil wie Nachteil in sich,
in Wasser stets löslich zu bleiben, daher ist die
fertige Arbeit zu firnissen;
6. verdünnter Gummi, trocknet am schnell-
sten, für rasche Studien auf Leinwand und Papier
vorzüglich — bleibt ebenfalls im Wasser
löslich.
Es ist wohl nicht zu leugnen, dass die
Möglichkeit, alle die genannten Malmittel mit
Bössenroths Temperafarben gemischt anzuwenden,
für manche Zwecke vorteilhaft ist*), und gestattet
die mannigfaltigste Benutzung auf „Leinwand,
Gobelin, Holz, Papier, ungeleimte Pappe, Seide,
jeden Stoff, selbst für Plastik und Metall". In
der „Anleitung" heisst es weiter: „Bei Entwürfen,
Studien, Illustrationen, wie bei allen kunstgewerb-
lichen Ausführungen überbietet sie jede andere
Farbe, denn sie vereinigt in sich vollständig den
Charakter der Oel-, Aquarell-, Gouache- wie der
Leimfarbe, je nachdem man sie nur mit Wasser
oder mit Malmittel behandelt." Zur Untermalung
von Oelbildern ist die Tempera (wie jede andere
auch) geeignet, ja sie bietet „zur Uebermalung
alter, völlig ausgetrockneter Oelbilder ein über-
raschendes Hilfsmittel. Das Bild muss selbst-
verständlich vorher durch Abreiben mit Alkohol,
Zwiebel oder Ochsengalle entfettet werden."
Ich gebe diese Liste der Verwendbarkeiten
nach dem Prospekt und der „Anleitung", ohne, nach
den ganz wenigen eigenen Proben zu schliessen,
deren Richtigkeit in vollem Umfange prüfen zu
können.
In dem Punkte wird man mit Bössenroths
Tempera-System völlig übereinstimmen, dass dem
Malgrund als wichtigsten Faktor bei der
Ausnützung der Temperatechnik die grösste Auf-
merksamkeit geschenkt werden muss. Der ge-
wöhnliche Kreidegrund auf Leinwand eignet sich
wegen seines Leimgehaltes wenig zur reinen
Temperamalerei. „Durch die nasse Malweise der
Tempera quillt der Leim im Malgrunde langsam
auf und bleibt viel länger nass und sulzig, als
die an der Luft schnell trocknende Farbe. Die
unausbleibliche Folge ist ein Springen der pastoser
gemalten Stellen. ^) Als noch schlimmer erweist
sich der ganz magere Kreidegrund in technischer
wie künstlerischer Beziehung: Die Farbe schlägt
sofort stark ein, wird durch die Mischung mit
der Kreide zu einer schwer traktablen Masse und
*) Aber andererseits wird das Malen mit so kom-
plizierten Malmitteln für den Maler unkontroll ierb ar!
3) Es scheint mir eher die Ausdehnung der
Leinenfaser in nassem Zustande die Ursache des
Springens zu sein, insbes. wenn die Prozedur des
Nassmachens öfters wiederholt wird. Alte Tempera-
bilder sind stets auf Holztafeln gemalt.
Münchner kunsttechnische matter.
39
Laufe des August wurde es in Druck geiegt und
erst im Oktober an die verschiedenen Inter-
essenten versandt. Demgemäss ist das Münchener
Gutachten als letztes von den dreien erst im
Oktober v. J. — also zwei Monate später als
die Lichterfeider Analyse — in den Besitz des
Herrn Hess gekommen.
Wie kann nun der genannte Kunstmaterialien-
händier (welcher übrigens meine Farben nicht
führt) einen Widerspruch zwischen zwei Analysen
feststellen, wenn eine von den beiden zu der
Zeit ihm noch gar nicht vorliegen konnte?
Diese Tatsachen kennzeichnen zur Genüge, wie
dieser Brief des Herrn Lechner „konstruiert" wurde.
Grafrath, den 21. Januar 1907.
Hochachtungsvollst
Fritz Behrendt.
Neue Malerfarben:
II. Bössenroths Tempera.
(Schluss.)
Den oben veröffentlichten Gutachten zufolge
scheint die Bössenroth-Tempera den so verschieden
gearteten Malweisen der Künstler in vielfacher
Hinsicht zu entsprechen. Herr Bössenroth kommt
aber in seinem „Ratschläge, betreffend Tem-
pera-Malmittel" überschriebenen Zirkular den
Wünschen der Maler noch mehr entgegen, indem
er sagt: „Um die leichtflüssige Technik meiner Tem-
pera noch zu steigern, sowie den Tonverände-
rungen sowohl beim Auftrocknen wie beim Fir-
nissen sicher aus dem Wege zu gehen (ebenso
auch ein pastoseres Arbeiten zu erlauben) ist es
ratsam, ein Malmittel in Anwendung zu bringen."
Als solche Malmittel könnten alle bekannten
„eigenen Malmittel" der Künstler dienen, ausser-
dem die folgenden altbewährten einfachen Hilfs-
mittel, die frisch verwendet von absoluter Halt-
barkeit sind. Dazu werden empfohlen:
1. Honig, mit wenig Wasser streichfähig
verdünnt (trocknet langsam und klar);
2. frisches Eigelb (kann mit ganz wenig
Wasser verdünnt werden);
3. frisches Eiweiss (geschlagen), gut für
Lasuren, trocknet etwas rascher als I und 2, ist
im allgemeinen vorsichtig zu behandeln;
4. das fertige Malmittel in Tuben,
eignet sich besonders für Arbeiten, die unge-
firnisst bleiben sollen (wird wie auch 1 und 2
unverwaschbar);
5. „Müller-Coburg"-Malmittel (in Fla-
schen)^) bleibt lange nass (besonders durch Nass-
halten der Leinwand von rückwärts, was auch
') Dieses Malmittel ist als eine Gummi-Oel-
Emulsion zu betrachten.
bei sämtlichen anderen Malmittein empfehlens-
wert ist), man kann auch das Malmittel als pro-
visorischen Firnis benutzen und näss hineinarbeiten,
es schliesst den Vorteil wie Nachteil in sich,
in Wasser stets löslich zu bleiben, daher ist die
fertige Arbeit zu firnissen;
6. verdünnter Gummi, trocknet am schnell-
sten, für rasche Studien auf Leinwand und Papier
vorzüglich — bleibt ebenfalls im Wasser
löslich.
Es ist wohl nicht zu leugnen, dass die
Möglichkeit, alle die genannten Malmittel mit
Bössenroths Temperafarben gemischt anzuwenden,
für manche Zwecke vorteilhaft ist*), und gestattet
die mannigfaltigste Benutzung auf „Leinwand,
Gobelin, Holz, Papier, ungeleimte Pappe, Seide,
jeden Stoff, selbst für Plastik und Metall". In
der „Anleitung" heisst es weiter: „Bei Entwürfen,
Studien, Illustrationen, wie bei allen kunstgewerb-
lichen Ausführungen überbietet sie jede andere
Farbe, denn sie vereinigt in sich vollständig den
Charakter der Oel-, Aquarell-, Gouache- wie der
Leimfarbe, je nachdem man sie nur mit Wasser
oder mit Malmittel behandelt." Zur Untermalung
von Oelbildern ist die Tempera (wie jede andere
auch) geeignet, ja sie bietet „zur Uebermalung
alter, völlig ausgetrockneter Oelbilder ein über-
raschendes Hilfsmittel. Das Bild muss selbst-
verständlich vorher durch Abreiben mit Alkohol,
Zwiebel oder Ochsengalle entfettet werden."
Ich gebe diese Liste der Verwendbarkeiten
nach dem Prospekt und der „Anleitung", ohne, nach
den ganz wenigen eigenen Proben zu schliessen,
deren Richtigkeit in vollem Umfange prüfen zu
können.
In dem Punkte wird man mit Bössenroths
Tempera-System völlig übereinstimmen, dass dem
Malgrund als wichtigsten Faktor bei der
Ausnützung der Temperatechnik die grösste Auf-
merksamkeit geschenkt werden muss. Der ge-
wöhnliche Kreidegrund auf Leinwand eignet sich
wegen seines Leimgehaltes wenig zur reinen
Temperamalerei. „Durch die nasse Malweise der
Tempera quillt der Leim im Malgrunde langsam
auf und bleibt viel länger nass und sulzig, als
die an der Luft schnell trocknende Farbe. Die
unausbleibliche Folge ist ein Springen der pastoser
gemalten Stellen. ^) Als noch schlimmer erweist
sich der ganz magere Kreidegrund in technischer
wie künstlerischer Beziehung: Die Farbe schlägt
sofort stark ein, wird durch die Mischung mit
der Kreide zu einer schwer traktablen Masse und
*) Aber andererseits wird das Malen mit so kom-
plizierten Malmitteln für den Maler unkontroll ierb ar!
3) Es scheint mir eher die Ausdehnung der
Leinenfaser in nassem Zustande die Ursache des
Springens zu sein, insbes. wenn die Prozedur des
Nassmachens öfters wiederholt wird. Alte Tempera-
bilder sind stets auf Holztafeln gemalt.