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Münchner kunsttechnische Blätter — 3.1906/​1907

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Nr. 3
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Struck, Hugo: Die Geheimnisse der alten Meister, [3]
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Berger, Ernst: Neue Malerfarben, [1]: I. Professor Ph. Fleischers Meisterfarben der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.36595#0014

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IO

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 3.

Da es nun aber genau dasselbe Rot ist, was
Botticelli und andere alte Meister als echtes
Purpurrot Und ebenso die Pompejaner (? E. B.) bei
ihren Wandmalereien (das sogen. Pompejanisch-
rot) angewandt haben und da es auf keine an-
dere Art und Weise ebenso schön hervorzurufen
möglich ist, so glaube ich wohl mit Recht be-
haupten zu können, dass Botticelli und Pompe-
janer auch nur vermöge ihrer optischen Kennt-
nisse diese Farbe erzeugt haben. Auf ähnlichen
Täuschungen beruht denn auch jede Farbe, mit
nur ganz vereinzelten Ausnahmen, die ich auf
meinen Bildern hervorgerufen habe.
Man kann sagen: „Auch die Farben durf-
ten sich nicht persönlich hervordrängen. Auch
sie mussten sich als Mittel zum Zweck unter-
ordnen, denn nur dadurch erfüllen sie erst die
Aufgabe, noch edlere Farben auferstehen zu
lassen. So sind ja auch in der Natur alle Far-
ben nur Erscheinungen und keine materiellen
Farben."
So entsteht z. B. das Blau des Himmels durch
das Hineinscheinen der Sonne in einen grossen,
ursprünglich dunklen Raum. Vor diesem Raume
schweben in der Luft weissliche Dunstschichten
und diese rufen, vom Lichtstrahl getroffen, das
Blauen sowohl des Himmels als auch der Ferne
hervor; und nichts ist leichter, als dieses natür-
liche „Blauen" in der Malerei nachzumachen.
Unser Himmel und unsere blauenden Wälder und
Fernen sind also nicht einfach blauangestrichene
Flächen, die als feste, undurchdringliche Kruste
vor uns stehen und jegliche Illusion des ver-
tieften Raumes zerstören.
Das Gleiche gilt natürlich auch von unserm
Körper; er ist ebenfalls nichts anderes als ein
innen dunkelnder, im übrigen aber sehr licht-
durchlässiger, durchsichtiger Raum, und unsere
Haut, als dünne weissliche Schicht darüber gelegt,
ruft ebenfalls blauende Erscheinungen, kleine
Aederchen und bläuliche Stellen hervor, so lange
sie noch vom Licht getroffen wird. An den
hellsten Stellen ist sie zu weiss, als dass wir
hier diese Erscheinungen wahrnehmen könnten.
Hier wirft sie die Lichtstrahlen zurück, und das
sind besonders die Glanzlichter auf den mehr
hervortretenden Formenteilen. In den Halbschat-
ten aber ist unser Körper dermassen durchsichtig,
dass eine Farbschicht, vergleichbar mit leicht ge-
färbtem Wasser auf schneeweissem Grund, ge-
nügt, das Volumen des Körpers auszudrücken.
Aus der die Fläche auflösenden und sie
räumlich vertiefenden Tendenz der durchsichtigen
Partien eines Körpers einerseits und aus der die
Oberfläche des Bildes bestätigenden und hervor-
springenden Tendenz der helleren Partien und
der Glanzlichter andererseits ergibt sich also, aus
durchsichtig und undurchsichtig, die Entstehung
der plastischen Form auf optischem Wege.

Diese Feststellung möchte ich denn auch
dem älteren Aristotelischen Lehrsatz anschliessen,
indem ich nunmehr sage: Jeder Körper wird
seiner Eigenfarbe und seiner plastischen Form
teilhaftig durch das Durchsichtige, das in ihm ist.
Und wenn sich alle zukünftigen Maler, die
sich sonst jahrelang quälen müssen, um es her-
auszukriegen, nur diesen einen Satz bei ihren
Studien und Malproben zur Richtschnur nehmen
wollten, fürwahr, es könnte schon in einigen
Jahren um unsere Figurenmalerei im allgemeinen
anders bestellt sein, als es heute der Fall ist.
Von diesem Gesichtspunkt aus haben die
grössten Meister aller Zeiten ihre Werke ent-
stehen lassen. Das erforderte von ihnen ihren
dünnen, eigenartigen Farbenauftrag, und dadurch
wurden sie in den Stand gesetzt, solch herrliche
Farbenpracht und Formenfülle zu erzeugen.
Man soll nicht einmal gewahr werden, we-
nigstens nicht auf den ersten Blick, ob ein Bild
mit Oelfarben gemalt ist. Das ganze Handwerks-
zeug ist nur als ein Mittel zu betrachten, das
durch den mit möglichster Vollendung erreichten
Zweck geheiligt wird.
Den intimsten verborgenen Gesetzen der
Natur haben wir gerecht zu werden. Dadurch
werden wir instand gesetzt, Dichter zu sein, die
frei über Farbe und Form zu herrschen vermögen.
Neue Malerfarben:
I. Professor Ph. Fleischers Meisterfarben
der Renaissance.
Vor etwa zwei Jahren hat Herr Prof. Fleischer
in den Parterre-Ateliers der alten Pinakothek neben
den Originalen des Rubens zwei Kopien in einer
von ihm nach langjährigen Versuchen gefundenen
Technik ausgestellt, sowie noch eine andere Kopie
in gewöhnlicher Oelfarbentechnik, eine Ausstellung,
die das Interesse der Künstler und Kunstfreunde
wachzurufen geeignet war.
Ueber diese Ausstellung hat der bekannte Kunst-
ästhetiker Dr. Hermann Popp seinerzeit einen Ar-
tikel veröffentlicht, der hier aus dem Grunde wieder
abgedruckt wird, weil darin Prof. Fleischers Inten-
tion deutlich zum Ausdruck gebracht ist.
Es heisst daselbst:
Lionardo sagte einmal — „die Malerei ist eine Wissen-
schaft" und Leon Battista Alberti behauptete „das Wissen ist der
Weg zur Kunst". Diese Aussprüche besagen, dass der Malerei ein
Wissen zu Grunde liegt, das völlig unabhängig von der eigent-
lichen künstlerischen Begabung, die ja nicht eriernt werden kann,
den Hauptbestandteil jener Faktoren bildet, deren gemeinsames
Zusammenwirken die Voraussetzung jeder tüchtigen Kunst-
produktion bedeutet. Innerhalb dieses Wissens, das im allge-
meinen als die „spezifische künstlerische Gestaltungskraft" be-
zeichnet werden kann, nimmt die Technik, worunter die rein
manuelle Geschicklichkeit und das Handwerkliche zu verstehen
ist, einen hervorragenden Platz ein. Die Aneignung dieser
Fähigkeiten ist die erste Aufgabe des Kunstjüngers, dessen
künstlerische Qualitäten, selbst wenn sie noch so glänzende
sind, ohne ein ebenbürtiges materielles Ausdrucksvermögen
 
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