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54

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 12.

Zum Schluss dieser Ausführungen, die in erster
Linie bezweckt haben, an der Hand von Ver-
suchen, der Eigenart des veränderten Sehens
bei vorübergehend künstlich erzeugtem Astigmatis-
mus des Auges näher zu kommen, muss noch die
Frage erörtert werden, ob und in welcher
Weise ein Astigmatiker die Natur gegen-
über dem normalen Auge verändert sieht?
Mehrfach wird die Meinung geäussert und die
Annahme liegt auch nahe, Greco habe die For-
men verlängert gesehen, und deshalb habe
er sie auch verlängert wiedergegeben. Aber, so
wäre zu folgern, wenn dem Auge Grecos die auf
seinem Bilde wiedergegebenen Formen ebenfalls
verlängert erschienen sind, so hätte er sie doch
eher verkürzt, also ganz normal zeichnen müssen!
Diese Annahme ist nicht zutreffend. Man könnte
gerade das Gegenteil behaupten: Greco sah alle
Formen, also auch die Zeichnung der Fi-
guren,vielmehrverbreitert und er zeichnete,
in der Meinung, sierichtig wiederzugeben,
deshalb viel schmäler als sie in der Natur sind.
Sich darüber eine richtige Vorstellung zu ma-
chen, ist deshalb schwer, weil wir zu unterscheiden
haben, in welcher Art Greco oder ein astigmati-
sches Auge die Natur verändert sieht und
wie diese Veränderung auf der ebenen
Fläche zum Ausdruck kommt? Das endgiltig
zu entscheiden, möchte ich mich nicht getrauen,
ich kann nur nach den wenigen Versuchen urteilen
und wiederholen, dass ich bei den Versuchen, mit
künstlich astigmatisch gemachtem Auge, deren
Resultate den Grecoschen Verzerrungen am näch-
sten kamen, immer den Eindruck hatte, dass ich
ganz richtig gezeichnet habe. Meiner Meinung
nach war die Zeichnung richtig, in Wirklich-
keit ist sie jedoch verzerrt gewesen! Der Astig-
matiker muss sie also dauernd für richtig
halten, weil er sein Sehvermögen nicht plötzlich
normal machen kann, wie es die Versuchsperson
nach Entfernung des Zylinderglases tut. Aus dieser
Erwägung drängt sich mir der Schluss auf, dass
der Astigmatiker selbst den Glauben hat, und da-
von überzeugt sein wird, richtig zu sehen.
Die Tragik des astigmatisch veranlagten Malers
besteht eben darin, dass er allein seine Dar-
stellungen für richtig hält, der Normalsichtige aber
dessen Verzeichnungen erkennt.
Glücklicherweise sind solche Fälle in der Ma-
lerwelt äusserst selten, und in gleichem Masse, wie
bei Greco noch niemals vorgekommen*).

*) In letzter Zeit sind mir, durch die Möglichkeit
astigmatischer Verzeichnungen bei Malern veranlasst,
zwei solcher Fälle bekannt geworden. In beiden
zeigen sich die Verzeichnungen in horizontaler Rich-
tung, die Bilder erscheinen alsdann in der Breite ver-
zogen. Der eine Fall betrifft eine Malerin, die vor
einiger Zeit eine Serie von Porträts ausgestellt hatte.
Auch dem Kritiker waren dabei die „plutzerhaften"

Anhang.
Augenärztliches Gutachten.
Die Erscheinung, dass bei Greco im Laufe der
Jahre nicht nur in den Köpfen, sondern auch im
ganzen Format eine Steigerung der Längenpro-
portion zu konstatieren ist (Maier, S. 62), ist wohl
bei demselben auf regulären Astigmatismus der
Hornhaut zurückzuführen, während die gleiche
Erscheinung bei Turner auf Astigmatismus der
Linse zurückzuführen ist, welcher letztere bei
Turner Initialerscheinung von beginnendem Star
war, worauf ja auch verschiedene andere Irregu-
laritäten der Darstellungsweise Turners hinweisen,
auf welche bereits R. Liebreich aufmerksam machte,
die bei Greco fehlen.
Katz sagt (S. 41): „Wenn auch mit der Mög-
lichkeit der Erkrankung eines Auges Grecos, die
Astigmatismus zur Folge hat, zu rechnen ist, so
ist es doch nicht wahrscheinlich, dass eine solche
Erkrankung gleichzeitig beide Augen ergriffen hat."
Dem ist entgegenzuhalten, dass der in Folge
von Erkrankung der Hornhaut auftretende Astig-
matismus irregulär ist, mithin ganz andere Ver-
zerrungen der Netzhautbilder hervorruft als jene,
welche bei Greco zu konstatieren sind.
Am wahrscheinlichsten erscheint die Annahme,
dass ein oder beiderseitiger regulärer Hornhaut-
astigmatismus bei Greco bestanden habe und dass
derselbe im jugendlichen Alter durch eine gleich-
zeitig bestehende irreguläre Kontraktion des
Akkommodations-Muskel, welche einen den Horn-
haut-Astigmatismus korrigierenden Linsen-Astigma-
tismus hervorruft, korrigiert war. Auf das Bestehen
dieses korrigierenden Linsen-Astigmatismus hat
zuerst Prof. Dobrowolski in Petersburg aufmerk-
sam gemacht (Vergl. L. Mauthner, Die optischen
Fehler des Auges, Wien, Braumüller 18/4). Von
der Möglichkeit einer solchen Linsen-Korrektion
kann man sich im jugendlichen Alter leicht über-
zeugen. Es genügt eine schwache Zylinderlinse
vor ein Auge zu setzen; man sieht dann trotz
derselben mit diesem Auge feinste Zeichnungen
ohne Verzerrung.
Mit zunehmendem Alter nimmt die Elastizität
der Linse ab und deshalb wurde der Astigmatis-

Köpfe der sonst vortrefflich gezeichneten Arbeiten
aufgefallen. Den zweiten Fall hat ein Kollege an
sich selbst beobachtet; er fand, dass seit einiger Zeit,
besonders nach Eintritt etwa seines 55. Jahres, bei
Studien nach der Natur, die Zeichnung merklich in
die Breite geraten war und er deshalb zum Nach-
messen mit dem Zirkel gezwungen wurde, was vorher
niemals nötig gewesen ist. Der Sehfehler betrug bei
einem lebensgrossen Kopf mitunter 1% — 2^/3 cm.
Auf meine Anregung verglich er die ihm vor einiger
Zeit verschriebene Dioptrie für seine ziemlich geringe
Kurzsichtigkeit und es stellte sich demnach seine astigma-
tische Veranlagung in der Tat heraus. Für sein Ar-
beitsauge waren Zylindergläser von ! */, Dioptrien mit
vertikaler Achse vorgeschrieben!
 
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