München, io. Jnli 1916.
äeii&g^ zar „Werkstatt der Kaaat" (E. A. SeeMaaa, Leipzig).
Erscheint <4tägig anter Leitaag von Maler Prof. Ernst Berger.
XH.Jahrg. Nr. 2L
Inhalt: Goethe über die Technik der Materei. — Physikalische Vorgänge beim Trocknen der Oet- und Harz-
Oetfarben. Von E. B. (i. Fortsetzung.) — Ein Vorschtag zur Erhaltung der Rottmannschen Bitder in
den Arkaden des Hofgartens. — Verbot der Verwendung von Eiern und Eierkonserven zur HersteHung
von Farben. — Zum Artikel „Die Dreifarben-Theorie und ihre Anwendung".
Goethe über die Technik der Malerei.
Wir haben in den tetzten Nummern dieser Btätter
mehrfach Antass genommen, unseren Standpunkt, d. h.
den der gegenwärtigen Wissenschaft der Goetheschen
„Farbenlehre" gegenüber zu kennzeichnen. Aber da-
mit soitte nicht gesagt sein, dass der Inhalt seines gross-
angelegten Werkes ohne Bedeutung ist; es hndet sich
darin vielmehr, wie es bei einem so geistvollen und
seine Mitgenossen überragenden Manne nicht anders
zu erwarten ist, eine grosse Reihe von treffenden Be-
merkungen, die ganz gesondert von den anfechtbaren
Teilen dieses Werkes wert sind, von der Malerwelt ge-
lesen zu Werden. Als Beweis der feinen Beobach-
tungsgabe Goethes für künstlerische Technik lassen
wir hier zwei Stellen über die Malweise der alten
Meister und über Pigmente folgen. Sie finden sich in
der 6. Abteilung, unter: Sinnlich-sittliche Wir-
kung der Farben mit der Ueberschrift „Gründe"
und „Pigmente".
I. Gründe*).
902.
Es war die Art der älteren Künstler, auf hellen
Grund zu malen. Er bestand aus Kreide und
wurde auf Leinwand oder Holz stark aufgetragen
und poliert. Sodann wurde der Umriss aufge-
zeichnet und das Bild mit einer schwärzlichen
oder bräunlichen Farbe ausgetuscht. Desgleichen
auf diese Art zum Kolorieren vorbereitete Bilder
sind noch übrig von Leonardo da Vinci, Fra Bar-
tolomeo und mehrere von Guido.
903.
Wenn man zur Kolorierung schritt und weisse
Gewänder darstellen wollte, so liess man zuweilen
diesen Grund stehen. Tizian tat es in seiner
späteren Zeit, wo er die grosse Sicherheit hatte,
und mit wenig Mühe viel zu leisten wusste. Der
weissliche Grund wurde als Mitteltinte behandelt,
*) Goethes sämtliche Werke, 28. Band (Cottas
Verlag) 1851. S. 220.
der Schatten aufgetragen und die hohen Lichter
aufgesetzt.
904.
'Beim Kolorieren wird das unterlegte gleich-
sam getuschte Bild immer wirken. Man malte
z. B. ein Gewand mit einer Lasurfarbe, und das
Weiss schien durch und gab der Farbe ein Leben,
sowie der schon früher zum Schatten angelegte
Teil die Farbe gedämpft zeigte, ohne dass sie
gemischt oder beschmutzt gewesen wäre.
905.
Diese Methode hatte viele Vorteile. Denn an
den lichten Stellen des Bildes hatte man einen
hellen, an den beschatteten einen dunkeln Grund.
Das ganze Bild war vorbereitet; man konnte mit
leichten Farben malen, und man war der Ueber-
einstimmung des Lichtes mit den Farben gewiss.
Zu unseren Zeiten ruht die Aquarellmalerei auf
diesen Grundsätzen.
906.
Uebrigens wird in der Oelmalerei gegenwärtig
durchaus ein heller Grund gebraucht, weil Mittel-
tinten mehr oder weniger durchsichtig sind, und
also durch einen hellen Grund einigermassen be-
lebt, sowie die Schatten selbst nicht so leicht
dunkel werden.
907.
Auf dunkle Gründe malte man auch eine Zeit-
lang. Wahrscheinlich hat sie Tintoretto einge-
führt; ob Giorgione sich derselben bediente, ist
nicht bekannt. Tizians beste Bilder sind nicht
auf dunkeln Grund gemalt.
908.
Ein solcher Grund war rotbraun, und wenn
auf denselben das Bild aufgezeichnet war, so