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20

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 4.

Abenddämmerung durch die subjektive Gegenfarbe
entsteht, und das von Goethe beim roten orienta-
lischen Mohn bemerkt wurde, als er in der Abend-
dämmerung beim Hin- und Hergehen seitwärts
nach den Blüten blickte (Nachbilder bei starken
Lichtreizen, z. B. beim Sonnenuntergang sind sehr
beträchtlich und verschieden, je nachdem das
Auge geschlossen oder offen ist, und je nachdem
man auf eine helle oder auf dunkle Fläche blickt).
Oft treten auch Randkontraste zum Nachbild
hinzu, auch Dämmerungsphänomene, die empfind-
liche Augen vielfach bemerken.
Viel wichtiger als dieser sukzessive Kontrast
der Nachbilderscheinung ist für unser Farbensehen
der gleichzeitige oder simultane Kontrast,
der entsteht, wenn sich mehrere Farben, die man
auf der Fläche mit unbewegtem Auge übersehen
kann, gegenseitig beeinflussen.
Goethe hat diese Gesetzmässigkeit und ihre
Bedeutung für das Farbensehen schon erkannt und
richtig betont. Die hier eintretende Aenderung
betrifft nicht allein die Helligkeit und Tiefe des
Farbentons (Helligkeitskontrast), sondern es ent-
stehen infolge dieser Gesetzmässigkeit völlig
neue Farben, die nur durch die subjektive
Tätigkeit des Auges hervorgebracht wer-
den, also eigentlich objektiv nicht vorhanden sind.
Den grössten Einfluss auf derartige Erscheinungen
hat die sog. doppelte Beleuchtung, in deren Folge
die Schattenfarbe zur lichtgebenden Farbe stets
komplementär ist.
„Ist die eine Beleuchtung farbig, die andere
weiss, so erscheint überall dort, wo die farbige
fehlt, die weisse Beleuchtung in der zur farbigen
komplementären Färbung. So z. B. erscheinen
bei gelber Beleuchtung die im gelblichen Lichte
befindlichen Schatten, die in Wirklichkeit nur
rein weiss beleuchtet sind, unserem Auge blau",
Umstände die schon von Leonardo da Vinci in
gleichem Sinne wie Goethe beschrieben worden
sind.
„Für das Verständnis der Polemik zwischen
Goethe und Newton ist es wichtig, festzustellen,
dass diese blaue Schattenfarbe mit den Gesetzen
der Physik (Newtons) nichts zu tun hat und durch
sie nicht erklärt werden kann. Goethe hatte recht,
wenn er sagte, dass sie vom Auge selbst hervor-
gebracht ist. Denn der blaue Schatten ist in
Wirklichkeit weiss, erscheint aber unserem
Auge blau, ist also durchaus subjektiver Art und
die Folge der doppelten Beleuchtung, wie sie in
der Natur vielfach wirksam ist."
„Die Physiker aber, die bei ihrer Forscherarbeit
zur Feststellung der Farben des Lichtes stets die
Dunkelkammer benutzten, kannten die Doppelbe-
leuchtung, die Goethesche Farbe, nicht."
„Von der Verbreitung der GoetheschenKontrast-
farben könne man sich eine Vorstellung machen,
wenn wir das Walten derselben in der freien

Natur, z. B. in der Beleuchtung der Landschaft,
näher betrachten, denn sie kommt, wie erwähnt,
überall da zustande, wo in der Natur eine Doppel-
beleuchtung mit verschiedener Intensität vorhanden
ist, bei tiefstehender Sonne, wenn gleichzeitig
starkes Reflexlicht weisser Wolken die Schatten
aufhellt, aber auch zu allen Tageszeiten, da die
Beleuchtung niemals eine einheitliche ist; sie
wechselt mit dem Stande der Sonne, mit der
Reinheit der Luft, mit der Beschaffenheit der
Wolken usw."
Wie wichtig solche Veränderungen der Farben
für den Maler sind, braucht nicht erst besonders
hervorgehoben zu werden; er muss alle die von
ihm beobachteten Erscheinungen wiedergeben
können und die Nachbildung der durch Doppel-
beleuchtung entstehenden Kontrastfarben bietet
ihm die Möglichkeit, der Naturwahrheit näher zu
kommen, ja selbst das, was wir „Stimmung" nennen,
steht unter der Herrschaft der vom Auge hervor-
gebrachten subjektiven Farben.
„Bei vollem Tageslicht, etwa um die Mittags-
zeit, treten diese subjektiven Farben, namentlich
die farbigen Schatten mehr zurück, sie werden im
Freien nur von besonders aufmerksamen Augen
wahrgenommen. An Orten aber, wohin das Sonnen-
oder Tageslicht nur in gedämpfter Stärke gelangt,
treten sie auch dann dominierend auf und geben
diesen Orten eine besonders ausdrucksvolle Stim-
mung. So z. B. in Wäldern, wo das durch die
Lücken der Baumkronen und Zweige tretende
weisse Tageslicht mit dem durch Reflex und
Transparenz entstandenen grünen Laublichte in
einen höchst wirksamen Kontrast tritt und tiefe,
rote und violette Schatten auf Rasen und den
Schattenstellen der Gebüsche hervorbringt. Aus
demselben Grunde bemerken wir den magischen
Effekt der Kontrastfarben in Kirchen mit bunten
Glasfenstern, wenn von diesen farbiges, von an-
deren Stellen farbloses Licht einfallt."
„Denselben Effekt finden wir in Schluchten,
an Wasserfällen, in Höhlen und Grotten mit Doppel-
beleuchtung. Dort entsteht, namentlich wenn die
Grundfläche solcher Grotten durch Wasser ge-
bildet wird, dessen Reflex die Farben der Wände
widerspiegelt, und gleichzeitig Tageslicht durch
Eingänge oder Felsspalten eindringt, ein wunder-
barer, rein subjektiver Farbeneffekt." — „Ganz
besonders wirksam sind die Kontrastfarben in
Schneelandschaften kurz vor Untergang der Sonne.
Dann ist bei dunstigem Horizont die eine (von
ihm ausgehende Beleuchtung rötlich, die andere
vom Schnee reflektierte) weiss und die Schatten
sind grün (Vgl. Didaktischer Teil § 75)." Dazu
möchte der Referent bemerken, dass ähnliche Be-
obachtungen bei Doppelbeleuchtung von jedem
Maler gemacht werden, wobei sehr die Klarheit
des reflektierenden Himmelsblau mitspricht; die
Kunst des Malers muss nur verstehen, das Stirn-
 
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