Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mönchen, 27. Ang. 1917.

Beilage mr „Werkatatt der Kaaat" (E. A. SeeanaaH, Leipzig).
Erechelat 14 tägig enter Leitang von Maler Prof. Eraat Berger.

mijahrg. Nr. 23.


Inhalt: Mathematik und Maierei. Von M. St. — Voipato's Diaiog über die Bereitung der Leinwänden, Far-
ben und anderer auf Materei bezügticher Dinge, (i. Fortsetzung.) — Eine Abhandlung über Fresko-
Materei. (3. Fortsetzung.) — Zum Streit über Goethes Farbentehre.

Mathematik und Malerei.
Von M. St.

Unter obigem Titel ist als 20. und 21. Heft
der „Mathematischen Bibliothek" im bekannten
Verlag von B. G.Teubner, Leipzig u. Berlin 1916 eine
für Maler interessante Arbeit erschienen, die Dr. phil.
Georg Wolff, Oberlehrer am Realgymnasium
Betzdorf-Kirchen, zum Verfasser hat. Eine Reihe
von trefflichen Abbildungen (18 Fig. und 3 $ Abbild,
nebst 4 Tafeln) sind dem Texte beigefügt.
Die Ueberschrift befremdet im ersten Moment.
Was hat denn die Mathematik mit der Malerei zu
tun? Diese beiden Dinge schliessen einander doch
aus, denn die freie Kunst der Malerei kann weder
mit dem Einmaleins noch mit irgendwelchen al-
gebraischen Sätzen Uebereinstimmung haben. Es
handelt sich bei obigem Buch auch gar nicht um
die Mathematik als solche, sondern um die Lehre
von der angewandten Perspektive, die auf
geometrischer Grundlage und den daraus entwickel-
ten Gesetzen beruht. Der Autor zeigt nun an aus-
gezeichneten Beispielen, die geschichtliche Ent-
wicklung dieser Lehren von den ältesten Zeiten
an bis zu Albrecht Dürer.
Bei den Babyloniern und Aegyptern fehlt jeder
Anhalt an Perspektive; sie stellten die Gegenstände
übereinander, um das Hintereinander auszudrücken,
und im Falle sie z. B. den Fussboden darstellen
wollten, nahmen sie die Ansicht direkt von oben.
Wie sich die griechischen Maler mit dem Problem
abfanden, ist sehr ungewiss. Euklid war wohl
theoretisch seiner Zeit voraus, aber wir haben keiner-
lei Urteil darüber, wie etwa Polygnotos die figür-
lichen Gruppen seiner Wandgemälde angeordnet
hat, um vorne und rückwärts deutlich zu machen.
Die schon ziemlich entwickelte Architekturmalerei
in den pompejaner Wohnhäusern lässt scheinbar
das Prinzip vorwalten, wonach den parallelen Linien

ein Fluchtpunkt gemeinsam ist. Bei symmetrischer
Anordnung dieser „Szenenmalerei" schneiden sich
zweifellos die Verlängerungen der sogenannten
Tmfenlinien auf der Vertikalen, aber da weder
Augenpunkt angenommen scheint, noch Spuren
richtiger Konstruktion des Quadrates vorhanden
sind, also von dem Distanzpunkt ganz abgesehen
ist, kann von einer perspektivischen Konstruktion
nicht die Rede sein.
Dabei sind landschaftliche Darstellungen mit
Häusern in schräger Ansicht nicht so selten, aber
die Beispiele zeigen ein völliges Verwirrtsein der
Fluchtlinien (z. B. in der vor kurzem ausgegrabenen
Villa zu Bosco reale). Ein paar Darstellungen
griechisch-hellenistischer Zeit, die in Aegypten
gefunden wurden, deuten übrigens auf eine gewiss
geschickte Anordnung der Gruppierung, und die
Landschaft dient dazu, die Vermittlung der einzel-
nen Szenen herzustellen, in ähnlicher Weise wie
man im Mittelalter legendarische Motive verschie-
dener Art auf einem Felde vereinigte. Wolffs
Buch enthält diese Beispiele freilich nicht, aber
sehr gute und instruktive aus dem frühen Mittel-
alter, wobei unter Benutzung der Photographie die
Fluchtlinien der Architekturen verlängert einge-
zeichnet sind, so dass man deren Vereinigungs-
punkte ersehen kann. Hier zeigt es sich, dass oft
zwei und mehrere verschiedene Fluchtpunkte
paralleler Linien zu tage treten (so bei Giotto
und seinen Nachfolgern). Man bediente sich im
Mittelalter fast immer der sogenannten geraden
Perspektive und vermied geflissentlich jede andere
Darstellungsart.
Theoretisch befassten sich Gelehrte des 11. Jahr-
hunderts mit der optisch-perspektivischen Frage
des einheitlichen Fluchtpunktes, die auch den
 
Annotationen