Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 5-

Münchner kunsttechnische Blätter.

29

üblich ist, dass die Jüngeren gegen die Aelteren sich
aufiehnen, so muss es auch in den 60 er Jahren der
Fall gewesen sein, als die Jüngeren gegen die alte
„akademische Richtung" den Sturmlauf begonnen
haben, am einfachsten und radikalsten namentlich durch
den Umsturz des Bestehenden. Statt der sorg-
fältigen Zeichnung wurde die lässige, freie Linie be-
vorzugt, der weichen Modellierung wurde das Harte,
Unausgeglichene gegenübergesetzt, statt der genauen
perspektivischen Konstruktion genügte die Beiläufig-
keit des Eindrucks und ebenso eigenwillig zeigten sich
diese Meister in der Wahl der Motive. Nur keine
Idealfiguren, keine klassischen Gewänder oder Götter-
bilder! Die simple Umgebung, die oft primitiven Häus-
lichkeiten sollten die Motive abgeben, statt der sonst
so üppigen Stilleben genügte der einfache Apfel oder
irgendein Gemüse in irdener Schüssel; auch in der
Landschaft möglichste Vereinfachung, keine schöne
Komposition mit Baumgruppen im Mittelgrund und ge-
eigneter Staffage, sondern die gerade Landstrasse, ein
paar Steine, ein staubiger Berghang, einfache Bauern-
häuser u. dgl.
Durch die plötzlich einsetzende Wertschätzung
dieser französischen Bilder, durch die auf dem inter-
nationalen Markt erzielten, dem wahren Werte kaum
entsprechenden phantastischen Preise, durch die Ein-
flüsse der ästhetischen Kritik, durch Vervielfältigung
der Bilder in Zeitschriften und Sonderpublikationen
aufmerksam gemacht und in ihrem Urteil beeinflusst,
haben manche unserer jüngeren Maler, und auch die
weibliche Malerwelt durfte nicht fehlen, sich veranlasst
gesehen, der neuen Richtung zu huldigen; denn es ist
immer leichter, das gegebene Beispiel nachzuahmen,
als selbst etwas Neues zu schaffen. Der Kultus, den
Kunsthandel, Kunstkritik und Kunstjugend mit fran-
zösischer Malerei, insbesondere mit den Werken von
Cezanne, Gogouin, van Gogh und ähnlichen dieser
Richtung, trieben, hat viel Uebles verschuldet, weil
die scheinbar mit wenig Mühe und offenbar geringem
Können hergestellten Arbeiten als Ausfluss höchsten
Talents und erstrebenswerter Meisterschaft ausge-
schrieen und als Vorbilder angepriesen wurden. Junge,
vielleicht ganz begabte Leute wurden dadurch in ihrer
künstlerischen Anschauung irregeleitet und versuchten
mit absichtlicher Naivität und mit primitiven Mitteln
zu imitieren, was man ihnen so mundgerecht vorge-
setzt hatte.
Die „Einfachheit der Technik" lockte dazu, noch
einfacher und noch primitiver zu werden, die Farben-
losigkeit, die ohnehin stark vorherrschte, noch mehr
zu übertreiben, die Bildflächen noch unruhiger und
ohne jede Rücksicht auf Tiefenwirkung auszufüllen-
so dass man nicht recht unterscheiden konnte, was
vorne und was rückwärts sein sollte. Dazu noch der
Mangel von Licht und Schatten, weil der Maler, nur
der „Tonwirkung" wegen, seine Staffelei zwischen die
Lichtquelle und dem zu malenden Vorbild stellte.
Ohne vorher eine Vorstellung, oder wie wir sagen,
eine „Bildidee" zu haben, beginnt der Impressionist

zweiter Güte zu malen, er schiebt die Leinwand recht
nahe an sein Vorbild (z. B. ein Stilleben), und be-
kommt damit eine derartige Aufsicht, dass die Schüssel
(mit dem einen Apfel!) von oben gesehen fast rund,
die Tischkante fast senkrecht nach vorne abfällt; von
richtiger Distanz kann so gar keine Rede sein. Er
pinselt, mit der Nase fast auf der Leinwand, Stück für
Stück der recht bunten gewählten Tischdecke, der
kräftig farbigen Apfelsinen u. dgl. und muss die Bunt-
heit immer noch mehr steigern, um einige Haltung zu
bekommen. Aber auch so genügt es nicht: die Einzel-
formen trennen sich nicht voneinander, er muss not-
gedrungen kräftige, fast schwarze Konturen anbringen,
um nur einigermassen zu charakterisieren, was eigent-
lich auf der Fläche abgebildet ist.
Ganz ähnlich geht es, wenn ein menschliches
Wesen den Vorwurf bildet. Ohne vorheriges Ueber-
legen beginnt van Gogh der Jüngere sein Werk. Ein
Modell mit unfrisiertem Kopf und stupidem Ausdruck
ist bald gefunden; der schlecht geformte Körper,
Hängebrüste und rote missfarbige Haut lassen deutlich
erkennen, in welchem Milieu diese Weiblichkeit aufge-
wachsen ist. Auf dem Divan sind schnell ein paar, in
einem Kaufhaus gekaufte, bunte und mit geschmack-
losem Muster (möglichst bunt und grell!) versehene
Lappen als Draperie befestigt, und sie dienen dazu,
mit dem nackten Fleisch einen „Farbklang" zu bilden.
Wieder stellt sich der Maler mit seiner Staffelei so
ungeschickt als möglich, um nur viel Licht zu haben,
vor das Modell. Ohne Vorzeichnung beginnt er an
irgendeiner Stelle der Leinwand mit dem Aufträgen
der Farben; da er nicht gelernt hat, dass es am besten
ist, erst aus dem Dunkeln ins Licht zu gehen, setzt er
helle Deckfarben auf die weisse Leinwand und fährt
damit Tag für Tag fort, bis etwas einem weiblichen
Körper ähnliches auf der Leinwand ist. Nun steigert
er noch mehr das Licht durch immer kräftigeren und
pastoseren Auftrag, die Karnation wird schon fast so
dick wie eine Mörtelschicht und immer noch scheint
die Wirkung auszubleiben. Es fehlen jetzt die festen
Umrisse (ja, das ist's!), die jeden Farbenfleck erst
charakterisieren müssen, die Form des Körpers muss
mehr heraustreten, durch braune, fast schwarze (oder
noch besser grüne, die sind jetzt das neueste!) Kon-
turen. Nach dieser Arbeit bleibt noch die Hauptsache,
das schwerste, nämlich der Kopf zu malen übrig. Nun
holt der Maler seine Kunstblätter und Mappen mit
Abbildungen ähnlicher Vorwürfe oder Porträtdar-
stellungen hervor und findet, dass es richtig ist, das
„Persönliche" des zu malenden Kopfes hervorzuheben,
durch Wiedergabe des Blickes, durch festeres Markieren
der Nasenform und der Linien um die Mundwinkel,
dass seine Vorbilder oftmals diese Eigenheiten des
Gesichtes übertrieben, ja bis zur Karrikatur
verzerrt, dargestellt hatten und dass dieses Ueber-
treiben ganz rücksichtlos mit Umgehung der zeich-
nerischen Richtigkeit gesehen müsste.
Als gelehriger Impressionist sagt er sich zwar, nur
der erste Eindruck ist für den Gesamteffekt wertvoll,
 
Annotationen