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Münchner kunsttechnische Blätter — 14.1917-1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.36602#0032
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2S

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 5.

Aber Goethe liess sich durch den Misserfolg,
den er bei den ,,Zunftgelehrten" gefunden, nicht
beirren. Weit entfernt, den Kampfplatz zu räumen,
arbeitete er unentwegt auf der für richtig gehal-
tenen Grundlage weiter, indem er immer wieder
Beobachtungen machte und neue Steine für den
von ihm beabsichtigten Aulbau seiner Theorie
sammelte. Nichts konnte ihn davon abhalten, auch
nicht, als er durch die Verhältnisse gezwungen,
sein ruhiges Leben in Weimar mit den Mühen und
Aufregungen der kriegerischen Zeiten folgender
Jahre vertauschen musste; denn im selben Jahre
I/QI war er mit dem Herzog ins Lager von Rei-
chenbach gezogen, nahm im Herbst 1792 an der
Campagne in Frankreich teil, und war 1793 bei
der Belagerung von Mainz gegenwärtig. In einer
Aufzeichnung in dem Abschnitt „Schicksal der Druck-
schrift" (Morphogie der Pflanzen) vom Jahre 1817
findet sich darauf bezüglich folgende Stelle:
„Nun ward ich aber unverhofft in ein höchst be-
wegliches Leben hingerissen. Meinem Fürsten folgte
ich, und also dem preussischen Heer, nach Schlesien,
in die Campagne, zur Belagerung von Mainz. Diese
drei Jahre hintereinander waren auch für mein wis-
senschaftliches Bestreben höchst vorteilhaft. Ich sah
die Erscheinungen der Natur in offener Welt und
brauchte nicht erst einen zwirnsfädigen Sonnenstrahl
in die finsterste Kammer zu lassen, um zu erfahren,
dass Hell und Dunkel Farben erzeugen. Dabei be-
merkte ich kaum die Langeweile des Feldzuges, die
höchst verdriesshch ist, wenn Gefahr dagegen uns
belebt und ergötzt. Ununterbrochen waren meine
Beobachtungen, unausgesetzt das Aufzeichnen des
Bemerkten. ..."
„Das einmal erregte Interesse behauptete sein
Recht, die Produktion ging ihren Gang, ohne sich
durch Kanonenkugeln und Feuerballen im mindesten
stören zu lassen" sagt Goethe in der „Campagne
in Frankreich". Ein eben beobachtetes Phänomen,
dessen er auch in einem späteren chromatischen Auf-
satz gedachte, erläutert er dem Fürsten Reuss, bei
der Belagerung von Verdun unter dem „fürchterlich
dröhnenden Klang abgefeuerter Haubitzen", bringt
es dann zu Papier und zeichnet die dazu gehörigen
Figuren der beobachteten Refraktionserscheinung,
ln dem Bericht vom 14. Oktober heisst es, nachdem
er sein schon verloren geglaubtes Gepäck wieder
aufgeschlossen hatte: „Das Konvolut der Farbenlehre
bracht' ich zuerst in Ordnung, immer meine früheste
Maxime vor Augen: Die Erfahrung zu erweitern und
die Methode zu reinigen . .
Nach den wenig entgegenkommenden Urteilen
über seine ersten „Beiträge" und den Widerstand,
den er von seiten der Physiker gefunden, musste
sein Streben nunmehr darauf gerichtet sein, das

4. Fischer, Joh. Carl, Geschichte der Künste und
Wissenschaften, VII. Bd., Göttingen 1806, S. 91 (über
Goethes I. Beiträge).
5. Die „Göttingischen Anzeigen von gelehrten
Sachen", 2. Bd. 1792, enthalten S. 1693 ein kurzes
Referat von 2\, Druckseiten.
6. Die Gothaischen Gelehrten-Zeitungen,
77. Stück, 26. Sept. 092, S. 713 bringen eine Anzeige
von 6 Druckseiten in ziemlich ablehnender Form
in gleichem Sinne wie Gehler in seinem physikal.
Wörterbuch.

von ihm als fehlerhaft erkannte System Newtons
zuerst zu widerlegen, um dann seine Ansicht durch-
setzen zu können. Dies ist wohl der einzig rich-
tige Weg, der ihm vorgezeichnet war. Und darauf
scheint er auch mit aller ihm zueigen gewesenen
Energie ausgegaugen zu sein.
Seine Ansicht über die Entstehung der Farbe
aus Hell und Dunkel hatte er schon in den „Bei-
trägen" kurz angedeutet und zwar in den Para-
graphen 22 — 31 des „Ersten Stücks", worauf es aber
vorzugsweise ankam, und was Goethe dort nur
flüchtig gestreift hatte, das war die Frage von Ne w-
to ns Zusammensetzung der Farben des Lichtes.
Er hatte ferner, wie aus einem Briefe an Sömme-
ring vom 2. Juli 1792 hervorgeht, die Absicht
die „Farbenlehre mit dem Kreis der übrigen Natur-
erscheinungen zu verbinden", und den von An-
fang an festgehaltenen Begriffen der Polarität, der
Aktivität und Passivität, des Positiven und Nega-
tiven bezüglich der Farben anzuwenden. Darauf
waren alle seine Beobachtungen während der drei
Jahre der Kriegszeit gerichtet und so finden wir
in dem Brief an Jakobi aus dem Lager bei
Marienborn am 13. Juli 1793*) seinen Gegen-
satz zu Newton, seine Ansicht über Grund- und
Mischfarben folgendermassen formuliert:
„Newtonische Lehre":
1. Das Licht ist zusammengesetzt: heterogen.
2. Das Licht ist aus farbigen Lichtern zusammengesetzt.
3. Das Licht wird durch Refraktion, Reflexion und
Inflexion dekomponiert.
4. Es wird in sieben, vielmehr in unzählige dekompo-
niert.
5. Wie es dekomponiert worden, kann es wieder zu-
sammengesetzt werden.
6. Die apparenten Farben entstehen nicht durch eine
Deturmination des Lichts von aussen, nicht durch
eine Modifikation durch Umstände.
(Fortsetzung folgt.)

Wie sehen die Tiere?
Neueste Forschungen.**)
Der Vorstand der Universitäts-Augenklinik in
München, Geheimrat Prof. Dr. C. v. Hess, wurde
wegen seiner, die bisherigen Ergebnisse der For-
schungen fast völlig aufhebenden Untersuchun-
gen auf dem Gebiete der „Physiologie des Ge-
sichtssinnes" von der Universität Göttingen zum
Ehrendoktor der Philosophie ernannt. Die For-
schungen des Gelehrten sind geeignet, mehrere
Glaubenssätze des Darwinismus aufzuheben. Wir
sind heute in der Lage, die neuesten Ergebnisse
der Untersuchungen des Spezialsachverständigen,
natürlich nur kurz im Auszug, wiederzugeben.
Die Frage nach der Bedeutung der Farbenpracht
bei Blumen und vielen Tieren ist schon oft Gegenstand
kühner Spekulationen gewesen, aber erst in den letz-
*) Briefwechsel mit Jakobi S. 167.
**) Wir entnehmen diesen Aufsatz den „Münch.
Neuest. Nachrichten".
 
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