l6 Richter, Über die idealen und praktischen Aufgaben der ethnographischen Museen
Genießen gewährenden Weise. Es kann kein Zweifel sein, daß, wenn einmal zur
Verwirklichung dieses Gedankens geschritten werden sollte, dabei die Kulturen
Vorder-, Süd- und Ostasiens die Hauptmasse des Bestandes liefern werden, daß
also dieses Museum ein Museum hauptsächlich für asiatische Kunst sein
würde.1) Denn die altamerikanische Kunst mit ihrer tiefstehenden, perspektive-
losen Malerei, mit ihrer Steifheit und Viereckigkeit der plastischen Formen, die
nur in den gewandteren, sich bis zu humorvollen und bis zur Höhe vorzüglicher
Porträts erhebenden Darstellungen der peruanischen Keramik durchbrochen wird,
mit ihrer Richtung auf das Ungeheuerliche und fratzenhaft Verzerrte, mit ihrer
uns an die — sich jedoch in weicheren und rundlicheren Formen und richtigeren
Verhältnissen bewegende — orientalische Kunst erinnernden, selbstverständlich
nicht willkürlich phantastischen und launischen Überladung einzelner Erzeugnisse
mit Bildwerk und der Bilder wieder mit bedeutungsvollen Symbolen, sinnfälligen
Andeutungen des Übermenschlichen, was alles dieser Kunst ihren eigentlichen
Wert verleiht und sie als eine geschlossene Einheit erscheinen läßt, sie macht
auf unser Empfinden den Eindruck des Barbarischen und abstoßend Häßlichen.2)
Nur die treffliche Bronzekunst (Guß ä cire perdue) von Benin in Westafrika mit
ihrer eindringlichen, bis zum Porträt fortschreitenden 3) Naturwahrheit in der Er-
fassung und Wiedergabe des Gesehenen, vor allem der Neger und der Europäer,
aber auch der Tiere, besonders des Hahns und des Leoparden, nur sie vermag
uns neben der Kunst Asiens, von der sie vielleicht (s. oben II S. 216 Anm. 2) nicht
unabhängig entstanden ist, mit Bewunderung und mit Freude zu erfüllen und ver-
ständlich zu uns zu sprechen. Ihr würde in einem Museum für die Kunst außer-
europäischer Völker eine hervorragende Stelle gebühren, die freilich auszufüllen
man schwerlich noch in der Lage sein dürfte.
21. Das ethnographisch-technische Museum. Daß die schöpferische An-
regung, welche wenigstens ein Teil der ethnographischen Gegenstände in tech-
nischer und formeller Hinsicht bietet, je zum Selbstzweck eines Museums werden
p Vgl. dazu W. v. Seidlitz, Ein deutsches Museum für asiatische Kunst: Museumskunde I, 1905,
S. 181 —197. Eine sich auf das Material beziehende Hauptaufgabe eines solchen Museums wäre der
Ausbau einer Sammlung für ostasiatische Kunst. Freilich hat — wenigstens im Prinzip — E. Große
recht, wenn er Museumskunde I, 1905, S. 131 sagt: Diese Aufgabe allein »ist so groß und schwer, daß
sie in ihrem ganzen Umfange wohl nur von einem eigens für diesen Zweck geschaffenen und mit außer-
ordentlichen Mitteln begabten Institute gelöst werden könnte. Nur in einem großen staatlichen Museum
für ostasiatische Kunst wird es möglich sein, eine Sammlung zu schaffen, in der sich das gesamte
Kunstwesen des Ostens in allen seinen mannigfaltigen Verzweigungen und in seinem organischen und
historischen Zusammenhänge anschaulich darstellt «. Einige Bemerkungen über den formalen Aufbau
eines Museums füi asiatische Kunst s. in der Anmerkung zu § 50.
2) » Zusammengebüffelte Häßlichkeit« hörte Verfasser vor einiger Zeit die altmexikanische Kunst
nennen.
3) Denn wer vermöchte zu zweifeln, daß z. B. einige der Frauenköpfe aus Bronze von einem Meister
der Porträtkunst geschaffen sind?
Genießen gewährenden Weise. Es kann kein Zweifel sein, daß, wenn einmal zur
Verwirklichung dieses Gedankens geschritten werden sollte, dabei die Kulturen
Vorder-, Süd- und Ostasiens die Hauptmasse des Bestandes liefern werden, daß
also dieses Museum ein Museum hauptsächlich für asiatische Kunst sein
würde.1) Denn die altamerikanische Kunst mit ihrer tiefstehenden, perspektive-
losen Malerei, mit ihrer Steifheit und Viereckigkeit der plastischen Formen, die
nur in den gewandteren, sich bis zu humorvollen und bis zur Höhe vorzüglicher
Porträts erhebenden Darstellungen der peruanischen Keramik durchbrochen wird,
mit ihrer Richtung auf das Ungeheuerliche und fratzenhaft Verzerrte, mit ihrer
uns an die — sich jedoch in weicheren und rundlicheren Formen und richtigeren
Verhältnissen bewegende — orientalische Kunst erinnernden, selbstverständlich
nicht willkürlich phantastischen und launischen Überladung einzelner Erzeugnisse
mit Bildwerk und der Bilder wieder mit bedeutungsvollen Symbolen, sinnfälligen
Andeutungen des Übermenschlichen, was alles dieser Kunst ihren eigentlichen
Wert verleiht und sie als eine geschlossene Einheit erscheinen läßt, sie macht
auf unser Empfinden den Eindruck des Barbarischen und abstoßend Häßlichen.2)
Nur die treffliche Bronzekunst (Guß ä cire perdue) von Benin in Westafrika mit
ihrer eindringlichen, bis zum Porträt fortschreitenden 3) Naturwahrheit in der Er-
fassung und Wiedergabe des Gesehenen, vor allem der Neger und der Europäer,
aber auch der Tiere, besonders des Hahns und des Leoparden, nur sie vermag
uns neben der Kunst Asiens, von der sie vielleicht (s. oben II S. 216 Anm. 2) nicht
unabhängig entstanden ist, mit Bewunderung und mit Freude zu erfüllen und ver-
ständlich zu uns zu sprechen. Ihr würde in einem Museum für die Kunst außer-
europäischer Völker eine hervorragende Stelle gebühren, die freilich auszufüllen
man schwerlich noch in der Lage sein dürfte.
21. Das ethnographisch-technische Museum. Daß die schöpferische An-
regung, welche wenigstens ein Teil der ethnographischen Gegenstände in tech-
nischer und formeller Hinsicht bietet, je zum Selbstzweck eines Museums werden
p Vgl. dazu W. v. Seidlitz, Ein deutsches Museum für asiatische Kunst: Museumskunde I, 1905,
S. 181 —197. Eine sich auf das Material beziehende Hauptaufgabe eines solchen Museums wäre der
Ausbau einer Sammlung für ostasiatische Kunst. Freilich hat — wenigstens im Prinzip — E. Große
recht, wenn er Museumskunde I, 1905, S. 131 sagt: Diese Aufgabe allein »ist so groß und schwer, daß
sie in ihrem ganzen Umfange wohl nur von einem eigens für diesen Zweck geschaffenen und mit außer-
ordentlichen Mitteln begabten Institute gelöst werden könnte. Nur in einem großen staatlichen Museum
für ostasiatische Kunst wird es möglich sein, eine Sammlung zu schaffen, in der sich das gesamte
Kunstwesen des Ostens in allen seinen mannigfaltigen Verzweigungen und in seinem organischen und
historischen Zusammenhänge anschaulich darstellt «. Einige Bemerkungen über den formalen Aufbau
eines Museums füi asiatische Kunst s. in der Anmerkung zu § 50.
2) » Zusammengebüffelte Häßlichkeit« hörte Verfasser vor einiger Zeit die altmexikanische Kunst
nennen.
3) Denn wer vermöchte zu zweifeln, daß z. B. einige der Frauenköpfe aus Bronze von einem Meister
der Porträtkunst geschaffen sind?