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Klein, Die Aufgaben unserer Gipsabguß-Sammlungen.
Tralles läßt sich leicht an die Stelle des abgenommenen einsetzen, und nun strahlt
etwas von der begeisternden Wirkung, die dies Werk im Altertum ausgeübt hatte,
auf uns nieder, während vom vatikanischen Exemplare nur kalte Strahlen ausgehen
(Abb. 3). Ein ähnliches Experiment ist auch mit dem Abguß der einzigen antiken
Marmorkopie eines der dichterisch ergreifendsten Bronzeschöpfungen des Altertums
durchführbar, des Traumgottes Hypnos im Museum in Madrid, die wohl auch auf
den gleichen Künstler zurückzuführen ist, und diesmal wird es dem Leiter jedes
Gipsmuseums besonders bequem gemacht. Die wissenschaftlich gut beratene An-
stalt, von der er den Abguß der Madrider Statue beziehen kann, liefert ihn mit weg-
gelassener Stütze und mit entfernbar gemachtem alten Kopf, in dessen Einsatz der
mitgelieferte herrliche Bronzekopf von Berugia des British Museums gleich ein-
gelassen werden kann, so daß dieser Abguß an Kunstwert das Original wieder einmal
weit hinter sich läßt.
Aber es ist nicht immer nötig, daß dort, wo im Abguß ein Kopf aufgesetzt
wird, ein anderer früher entfernt werden muß. So ist das einfache Experiment
gelungen, dem berühmten Torso der Niobide der Galleria Chiaramonti des Vatikans
den Kopf der Florentiner Schwester aufzusetzen, und der so zugerichtete Abguß
wirkt gut auf Laien wie auf Künstler (Abb. 4). Kopflos ist auch die Nike des Meisters
Baionios von Mende dem Boden Olympias entstiegen, und die mitgefundenen Reste
des Schädels haben gerade nicht viel zur Erhöhung ihrer Wirkung getan. Aber sie
haben es ermöglicht, in einem Kopf einer kleinen römischen Privatsammlung eine
Kopie des verlorenen zu erkennen, und nun wirkt sie im Abguß als intaktes Meister-
werk. In weite Kreise ist die Kunde von einer neu erstandenen Athena des Phidias
gedrungen, die ihr glücklicher Entdecker durch Vereinigung des Abgusses eines
Dresdner Athenatorsos mit einem Kopfe des Museums von Bologna wiedergewann.
In allen diesen Fällen geht es sozusagen mit rechten Dingen zu, es wird der Grundsatz
aufgestellt, daß wie jeder Mensch nur einen Kopf, auch die Statue einen solchen und
zwar einen möglichst guten und passenden haben soll; es wird zunächst nicht recht
glaubhaft erscheinen, daß man auch ganz verschiedene mit gleichem Rechte an-
nehmen kann, und doch ist es so, und einer dieser nicht allzu seltenen Fälle ist von
hervorragender Wichtigkeit. In einer Anzahl von Museen kehrt ein Torso einer ver-
hüllten Frauengestalt wieder, der offenbar in die frühe Zeit des fünften Jahrhunderts
gehört und nur darum vorübergehendes Interesse fand. In höherem Maße wurde
dieses einem auf den Namen Aspasia getauften Frauenkopfe der gleichen Zeit zuteil,
der gleichfalls in einer Anzahl von Wiederholungen bekannt geworden ist. Der
freundliche Leser merkt gleich, daß sie sich kriegen, aber kein Fachgenosse hatte
eine Ahnung davon, bis ein recht überraschender Fund zutage kam, ein völlig wohl
erhaltenes statuarisches Porträt einer römischen Fürstin des zweiten nachchristlichen
Jahrhunderts, die sich genau in das gleiche Gewand hüllt, wie es die Torsi jener alt-
griechischen Statue anhaben. Wir kennen aus zahlreichen Beispielen und auch aus
Klein, Die Aufgaben unserer Gipsabguß-Sammlungen.
Tralles läßt sich leicht an die Stelle des abgenommenen einsetzen, und nun strahlt
etwas von der begeisternden Wirkung, die dies Werk im Altertum ausgeübt hatte,
auf uns nieder, während vom vatikanischen Exemplare nur kalte Strahlen ausgehen
(Abb. 3). Ein ähnliches Experiment ist auch mit dem Abguß der einzigen antiken
Marmorkopie eines der dichterisch ergreifendsten Bronzeschöpfungen des Altertums
durchführbar, des Traumgottes Hypnos im Museum in Madrid, die wohl auch auf
den gleichen Künstler zurückzuführen ist, und diesmal wird es dem Leiter jedes
Gipsmuseums besonders bequem gemacht. Die wissenschaftlich gut beratene An-
stalt, von der er den Abguß der Madrider Statue beziehen kann, liefert ihn mit weg-
gelassener Stütze und mit entfernbar gemachtem alten Kopf, in dessen Einsatz der
mitgelieferte herrliche Bronzekopf von Berugia des British Museums gleich ein-
gelassen werden kann, so daß dieser Abguß an Kunstwert das Original wieder einmal
weit hinter sich läßt.
Aber es ist nicht immer nötig, daß dort, wo im Abguß ein Kopf aufgesetzt
wird, ein anderer früher entfernt werden muß. So ist das einfache Experiment
gelungen, dem berühmten Torso der Niobide der Galleria Chiaramonti des Vatikans
den Kopf der Florentiner Schwester aufzusetzen, und der so zugerichtete Abguß
wirkt gut auf Laien wie auf Künstler (Abb. 4). Kopflos ist auch die Nike des Meisters
Baionios von Mende dem Boden Olympias entstiegen, und die mitgefundenen Reste
des Schädels haben gerade nicht viel zur Erhöhung ihrer Wirkung getan. Aber sie
haben es ermöglicht, in einem Kopf einer kleinen römischen Privatsammlung eine
Kopie des verlorenen zu erkennen, und nun wirkt sie im Abguß als intaktes Meister-
werk. In weite Kreise ist die Kunde von einer neu erstandenen Athena des Phidias
gedrungen, die ihr glücklicher Entdecker durch Vereinigung des Abgusses eines
Dresdner Athenatorsos mit einem Kopfe des Museums von Bologna wiedergewann.
In allen diesen Fällen geht es sozusagen mit rechten Dingen zu, es wird der Grundsatz
aufgestellt, daß wie jeder Mensch nur einen Kopf, auch die Statue einen solchen und
zwar einen möglichst guten und passenden haben soll; es wird zunächst nicht recht
glaubhaft erscheinen, daß man auch ganz verschiedene mit gleichem Rechte an-
nehmen kann, und doch ist es so, und einer dieser nicht allzu seltenen Fälle ist von
hervorragender Wichtigkeit. In einer Anzahl von Museen kehrt ein Torso einer ver-
hüllten Frauengestalt wieder, der offenbar in die frühe Zeit des fünften Jahrhunderts
gehört und nur darum vorübergehendes Interesse fand. In höherem Maße wurde
dieses einem auf den Namen Aspasia getauften Frauenkopfe der gleichen Zeit zuteil,
der gleichfalls in einer Anzahl von Wiederholungen bekannt geworden ist. Der
freundliche Leser merkt gleich, daß sie sich kriegen, aber kein Fachgenosse hatte
eine Ahnung davon, bis ein recht überraschender Fund zutage kam, ein völlig wohl
erhaltenes statuarisches Porträt einer römischen Fürstin des zweiten nachchristlichen
Jahrhunderts, die sich genau in das gleiche Gewand hüllt, wie es die Torsi jener alt-
griechischen Statue anhaben. Wir kennen aus zahlreichen Beispielen und auch aus