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Deutscher Museumsbund [Mitarb.]
Museumskunde: Fachzeitschrift für die Museumswelt — 8.1912

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Klein, Wilhelm: Die Aufgaben unserer Gibsabguss-Sammlungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.70501#0116

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Klein, Die Aufgaben unserer Gipsabguß-Sammlungen.

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derselben eine nächste Analogie fände. Dem widerspricht schon die Tatsache, daß
die Ausführung jener philologischen Methode zum Alltäglichen ihrer Wissenschaft
gehört und sich in bequem ausgefahrenen Geleisen bewegt, während sie in der unse-
rigen, deren Material im großen und ganzen doch unmittelbar aus der antiken Welt
herstammt, mehr den Charakter eines Experimentes hat, das nur unter bestimmten
Bedingungen in Angriff genommen werden kann. Hier erscheint aber auch die Wesens -
Verschiedenheit von redender und bildender Kunst richtunggebend, die des genaueren
zu erörtern nicht unseres Amtes ist. Gerade diesen experimentellen Charakter be-
währt die operative Methode durch ihre wertvollste Leistung der Synthese von an-
tiken Kunstwerken, die sie der widerstrebenden monumentalen Überlieferung förm-
lich abringt. Jenes aus dem römischen Prinzessinnenporträt herausgenommene
hochberühmte Göttinnenbild des Quattrocento der Antike ist eine solche Tat, der wir
nun weitere anfügen wollen.
Der charakteristische Unterschied von den bisher erwähnten, die die Emendation
eines gegebenen Werkes bieten, und zu denen auch die modernen Restaurationen an
der Pasquinogruppe durch den zusammengesetzten Gipsabguß bis zu der des Laokoon
durch das zugefundene Armfragment gehören, liegt darin, daß damit ein wesentlich
neues Werk in der Geschichte der hellenischen Kunst eingefügt wird, ungefähr so,
wie wenn es direkt aus irgendwelcher Ausgrabung zutage gekommen wäre. Das
Mittel liegt in der Erkenntnis der Zusammengehörigkeit von räumlich Getrenntem
als ursprünglich Vereintem. Die Ausführung kann demnach gelegentlich auch ohne
operativen Eingriff möglich sein, doch wird auch hier nur der Abguß die räumlichen
Hindernisse zu bewältigen haben, sobald man sich nicht mehr mit einer bloß graphi-
schen Darstellung des Erreichten begnügen will. Ein glänzendes Beispiel ist die
Wiederentdeckung des attalischen Weihgeschenkes, dessen Original auf die Akropolis
von Athen gestiftet war und dessen Inhaltsangabe uns überliefert ist, in einer Anzahl
von in den verschiedensten Sammlungen aufbewahrten Figuren, die durch Gleichheit
der Größe, des Materials und des gegenständlichen Inhaltes ihre Zusammengehörig-
keit erwiesen und in der überwiegenden Mehrzahl sich als zusammengefunden er-
weisen ließen. Eine Entdeckung von ebenso weittragender Wichtigkeit war die der
Ara Pacis Augustae, des Altares des Augustusfriedens, den der römische Senat im
Jahre 13 v. Chr. dem siegreich heimkehrenden Kaiser gewidmet, und der vier Jahre
später ausgeführt ward. Die erhaltenen Teile ihres wundersamen Reliefschmuckes
waren, zumal sie zu verschiedenen Zeiten dem Boden entstiegen, weit auseinander
gestreut. Ein paar Blöcke im Hofe des römischen Palastes Fiano am Korso, unter
dessen Fundamenten nachträglich der Grundriß dieses Heiligtums aufgefunden wurde,
ein paar im Vatikan, in Florenz und im Louvre, wurden als zusammengehörig und
von diesem Werke herstammend erkannt, und die bei dieser Entdeckung ansetzende
Forschung hat uns ein weltgeschichtliches Denkmal ersten Ranges in einer Voll-
ständigkeit wiedergegeben, wie sie unsere kühnsten Träume nicht ersinnen konnten.
 
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