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Deutscher Museumsbund [Contr.]
Museumskunde: Fachzeitschrift für die Museumswelt — 8.1912

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Klein, Wilhelm: Die Aufgaben unserer Gibsabguss-Sammlungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.70501#0118

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I 10

Klein, Die Aufgaben unserer Gipsabguß-Sammlungen.

wertvoll durch seinen gesicherten Zeitansatz, das auf die letzten Tage der römischen
Republik sein letztes Licht wirft. Das Gemeinsame dieser drei Fälle besteht in dem
Nachweis der gemeinsamen Herkunft von Stücken, die in verschiedene Sammlungen
gelangt sind, was entweder die Vorbedingung der Erkenntnis der einstigen Zuge-
hörigkeit zu demselben Werke oder umgekehrt die Bestätigung derselben bot. »Die
alten Denkmäler haben oft einerlei Schicksal mit jenem Dieb, der das eine Ohr in
Madrid und das andere in Neapel ließ.«
Dieser Stoßseufzer Winkelmanns galt der sorglosen Verschleppung von zu-
sammengehörigen Stücken, die zu einer Zeit, in der es keine Technik der Ausgrabung
und wissenschaftliche Kontrolle der Funde gab, einfach selbstverständlich war.
Ganz veraltet klingt es auch heute noch nicht, aber es gehört doch auch manches
zusammen, was nicht zusammengefunden war, wie uns gleich das doppelköpfige
Damenporträt gezeigt hat, und auf diesem operativen Wege sind doch gerade ganz
kostbare antike Kunstwerke wiedererstanden. Eine Tafel eines alten Werkes aus dem
Ende des 16. Jahrhunderts, das Stiche nach den damals gefeiertsten antiken Statuen
des damaligen Rom enthält, zeigt eine Gruppe, die zu jener Zeit im Palazzo Farnese
stand und seither verschwunden ist: Hermes, der, das Dionysoskind in der Rechten,
an einer bärtigen Herme lehnt. Die hinzugefügte Inschrift belehrt uns, daß die
damaligen Exegeten ihrer mythischen Bedeutung nicht weiter nachspürten, sondern
sie als sinnige Darstellung des Menschenschicksals in seinem Werden als Kind, Mann
und Greis erfaßten. Der olympische Fund des praxitelischen Hermes mit dem Dio-
nysoskinde hat die Aufmerksamkeit auf dieses Blatt hingelenkt, dessen Zeichnung
man mit ihm in allzunahe Verbindung bringen wollte. Sie erwies sich jedoch bald
als treue Wiedergabe eines großen verschollenen Kunstwerkes, dem sie zu monumen-
taler Wiederauferstehung verhalf. Der Hermes fand sich im Museum zu Madrid wieder,
genau in derselben Stellung auf die bärtige Herme gelehnt, nur im Gegensinne zu
dem Stich, was ja vorauszusehen war. Daß die Herme nicht das Greisenantlitz trug,
das ihr der Stecher jener Deutung zu Liebe ließ, sondern die Züge, die Meister Alka-
menes seiner berühmten Herme der Propyläen gab, darf kaum wundernehmen.
Das Kind ist zugleich mit der Linken des Gottes verschwunden, und der Ergänzer
hat dieser zum Ersatz eine Rolle in die Hand gegeben, mit der er sich als »joven
orador de la escuela de Platon« legitimieren sollte. Das in Verlust geratene Kind
ward im Museo nazionale zu Rom noch auf der Hand seines Pflegers sitzend wieder-
gefunden. Das Kunstwerk, dessen Teile so wiedergewonnen wurden, muß schon irn
Altertum große Wertschätzung genossen haben, denn es fand sich nachträglich,
daß es als Münzbild verwendet wurde, und ein weiteres Zeugnis seines Ruhmes lieferten
die Ausgrabungen in Delphi. Ein figurenreiches Weihgeschenk aus der Zeit Philipps
von Makedonien enthielt auch eine freie Variation des Hermes. Die Vermutung,
daß auch die beiden Stücke in Madrid und Rom von verschiedenen Kopien des
 
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