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Naeher, Julius [Hrsg.]
Die Baudenkmäler der unteren Neckargegend und des Odenwaldes: Aufnahme, Autographie und Beschreibung (Band 1): Die Umgebung von Heidelberg: Handschuhsheim, Dilsberg, Neckarsteinach, Hirschhorn mit Erschheim, Schönau, Stolzeneck und Eberbach ; archäologische Studien, Aufnahmen und Autographien — Heidelberg, [1891]

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https://doi.org/10.11588/diglit.12542#0008
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2

I.

Dje Tieftmg M Kandschuhshejm.

Die noch sehr beachtenswerthen baulichen Reste dieser
Burg bieten einen sehr lehrreichen Einblick in das Wesen
eines spät-mittelalterlichen Feudalsitzes. Wir sehen hier,
wie das finstere und des Schmuckes bare Aeußere des
ersten Burgenbaues schon einer freundlicheren Ausstattung
und wohnlicheren Einrichtung der Jnnenräume gewichen ist.
Das drei Stockwerk hohe Wohngebäude, das dem früh-
mittelalterlichen Bergfried einer Burg entspricht, und auch
hier den Belagerten als letztes Reduit diente, ist geräumig
und enthält im 3. Stockwerk den Rittersaal. Ein sogen.
fliegender Steg, der in der Zeit der Gefahr schnell zurück-
gezogen werden konnte, führte zu dem Wehrgange der
Ringmauer, das heißt zunächst zu den an dieselbe an-
gebauten zwei Stockwerk hohen Dienftgebänden.

Geräumige gewölbte Kellerräume ziehen sich unter dem
Ritterhaus und den Dienstgebäuden hin. Diese haben im
untern Stock nach der Außenseite schlitzartige Fenster-
öffnungen, wcchrend im 2. Stockwerk größere Fenster-
öffnungen angebracht sind, die, wie die ersteren, der hohen
Ringmauer ein belebtes Aeußere verleihen.

Die Front der Eingangsseite ist besonders ausgezeichnet
durch das Hervortreten eines Anbaues, in welchem ,die
Schloßkapelle! war und anderseits durch den schönen Erker-
bau, der aust drei mächtigen Tragsteinen ruhte.

Die Burp, bildetnahezu ein Quadrat von ca- 30 nr Seite
und ist von einem ca. 6 rn breiten Graben umgeben, der
in der Zeit der Gefahr vom Dorfbach aus gefüllt werden
konnte.

Der m,!t einer Neihe von Schießlucken versehene Wehr-
gang der Mngmauer ist an der Außenseite üurch ein ca.
25 om hcrvortretendes Bogengesimms gekennzeichnet. Bei
den deutschen Burgen fehlt die Anlage der senkrechten Ver-
theidiguny, welche sich bei dem Burgundischen Baustil zur
höchsten Entwicklung entfaltete, (siehe Chillon, Vufflens ec.
in der r-omanischen Schweiz). Um diesem Mißstande einiger-
maßen cibzuhelfen, sehen wir bei unserer Tiefburg zwischen
stder S-chießlucke, welche der Abgabe der horizontalen Ge-
schosse öienten, eine nach unten stark abgcflachte Lucke,
durch welsche die Geschosse in den vorliegenden Graben ge-
schleudert werden konnten, freilich nicht in dem vollkommenen
Raße, wie öei den burgundischen Machicoulis-Krönungen,
ber es zeigt öte erstere Anordnung bei dem Wehrgang

unserer Tiefburg immerhin einen Fortschritt der Kriegs-
baukunst in Deutschland.

Der Wohnthurm ist viereckig, 10 auf 8 m Seite bei
ca. 90 om starken Wandungen, so daß ein Wohnraum
von 8,2 m auf 6,2 m Weite erzielt ist. Bei den Berg-
friden der ältesten Zeiten ist dieser Raum oft nur 3 auf
3 m, und zum Wohnen nicht geeignet. Das Eingangs-
thor ist aus der Südseite und konnte mittelst einer Fall-
brücke, die im 16. Jahrhundert gebräuchlich wurden, ge-
schlossen werden.

Auf der einen Seite des Einganges tritt ein ansehn-
licher Anbau hervor, welcher im 2. Stock die Schloßkapelle
enthielt. Es war herkömmlich, daß hier der Gründer der-
selben und der Burg sein Begräbniß fand und so hat sich
wohl in einer Nische unter derselben der Ritter in voller
Rüstung stehend bestatten lassen, der zu Anfang dieses
Jahrhunderts entdeckt wurde, und über den die Sage geht,
er sei lebendig eingemauert worden. Einer der Tragsteine
des schönen Erkerbaues auf der andern Seite des Thor-
einganges zeigt den Wappen der Ritter von Handschuhs-
heim und die Jahreszahl 1544, in welcher Zeit die Burg
wohl gebaut worden ist. Möge dem Herrn Graf v. Helm-
stadt, in dessen Garten dieses schöne Baudenkmal der spät-
gothischen Zeit steht, die Erhaltung desselben em-
pfohlen sein. —

II.

Die KjrcheZz'uMlmdschnhsllejm.

Die Kirche zu Handschuhsheim ist eines der bemerkens-
werthesten und ältesten Baudenkmäler der Pfalz, obgleich
nur noch wenige Theile derselben von der Zeit der Grün-
dung durch den Abt Arnold von Lorsch (1053) erhalten
sind. Zu diesen Resten ist der Thurm, dessen oberstesj
Stockwerk eine gekuppelte^romanische Fensteröffnung zeigt/
ferner eine im Rundbogen gehaltene Thüre an der Sakristei
(später hieher versetzt) und zwei eingemauerte Kopfstücke,
wie sie vielfach an den Gurtungen der romanischen Kirchen-
bauten vorkommen, zu rechnen. Meist beziehen sich diese letz-
teren auf den Gründer, den Bauherrn und den Baumeister der
Anlage. Jm Ganzen fällt die Erbauung der jetzigen Kirche
in das Ende des 15. Jahrhunderts. welcher Annahme
auch der Schlnßstein des nördlichen Seiteneinganges mit
der Jahreszahl 1483 entspricht.

Von den schönen Grabdenkmälern, welche das Jnnere
der Kirche so sehr auszeichnen, haben wir in unserer Samm-
lung nur die des Ritter Diether vom Jahre 1481 und

seiner Ehefrau geb. von Frankenstein, deren Jnschristen in
Mühling nicht genügend entziffert sind, zur Darstellung aus-
srlesen. Sie sind Meisterwerke der Skulptur, und enthalten
dis knienden Gestalten der Entschlafenen. Eine photogra-
phische Darstellung dieser Grabsteine ist sehr erschwert, da
sie in einem finstern, theilweise durch eine Kirchenbank ver-
deckten Raum sich befinden. Derselben Blüthezeit der
plastischen Kuust gehört das Denkmal des Ritters v. Jngel-
heim und seiner Frau geb. von Handschuhsheim vom Jahr
1500 an, während die im Chor stehenden großen Epitha-
phien schon in die Zeit des Zurückganges der Kunst
fallen.

Die Schlußsteine des Gewölbenetzes des Chores zeigen
das Churmainzische Rad und den Gemmingen'schen Wappen-
schild, der sich auf den Erzbischof Uriel von Mainz aus
dem Geschlechte der von Gemmingen bezieht. An der West-
seite des Schiffes zunächst des Thurmes sieht man noch die
jetzt zugemauerte Thüre eines Zuganges vom Nonnenkloster
her, das hier angebaut war. Es war dieses dem Kloster Lorsch
untergeordnet. Jn Urkunden von den Jahren 1512 und
1537 geschieht Erwähnung von den Jungfrauen und
den Schwestern in der Klause zu Handschuhsheim, womit
dieses Kloster gemeint ist. Von diesem selbst ist nichts
mehr vorhanden.

Unter Friedrich III. von der Pfalz wurden die Güter
der Augustiner-Nonnenklause zur Stiftung des in der Nähe
stehenden sog. Waisenhauses bestimmt (1570).

Von diesem Bau, der im Orleans'schen Krieg seinen
Untergang fand, stehen nur noch die unteren Stockwerke.
Jn einer Wand jedoch ist ein Consolstein eiugemauert, der,
von einem älteren Bau herrührend, ein Wappen mit einem
Rost: im Schilde und die Jahreszahl 1549 nebst einem
Steinmetzzeichen zeigt. Bezieht sich der Rost auf den hei-
iigen Laurentius, dem mit dem heiligen Stephan das
vordere Kloster auf dem nahen Heiligenberge geweiht war
und welcher erstere Heilige den Martyrerfeuertod auf dem
Roste erlitt, daher der Wappenk Dies ist noch zu be-
weisen. Jst das Waisenhans erst 1570 gegründet worden,
so kann der fragliche Stein wohl vom Nonnenkloster her-
rühren, und dann hat die Herleitung des Wappens mehr
Wahrscheinlichkeit, da die Nonnenklause dem Kloster des
Heiligenberges beigeordnet gewesen sein dürfte.

Ueber dem Thorbogen des frühereu Waisenhauscs ist
noch ein C mit eiuer Krone, darunter ^nno 1685, be-
merkenswerth. I
 
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