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Karl Wolf
Gegend, um als Weber dem zurückgebliebenen deutschen Webergewerbe
aufzuhelfen. Aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts kommen auch die
ersten Nachrichten, daß nassauisches Eisen durch niederländische Schiffe ver*
frachtet wurde. In Hessen aber setzte sich das brabantische Fürstenhaus fest,
dessen geschichtliche Aufgabe es wurde, dem weitern Vordringen des mäch*
tigen geistlichen Fürstentums Mainz ein Ziel zu setzen.
Welchen Einfluß die niederländische Malerei mit ihren Höchstleistun*
gen auf die westfälischen, nieder* und mittelrheinischen Malerschulen aus*
geübt hat, läßt sich an den Erzeugnissen jener Werkstätten leicht feststellen
Breiteten sich die genannten geistigen Bewegungen in der Periode aus,
die wir als die gotische bezeichnen, so bereiten die Schulen der Brüder vom
gemeinsamen Leben die Entwicklung der nächsten Kulturströmung, des Hu*
manismus, vor. Ihnen ist infolge ihrer von Deutschen zahlreich besuchten
Schulen und der von ihnen nach dem Reich gekommenen Gelehrten ein
weitgehender Einfluß auf das gelehrte Schulwesen im westlichen Deutschland
zuzuschreiben. Dadurch, daß ihr Erziehungsideal die Vereinigung von sa*
pientia und pietas (Wissen und Frömmigkeit) war, blieb der Humanismus
nördlich der Alpen im Gegensatz zum italienischen frei von der Abkehr
vom Christentum. Ihr berühmtester Schüler, Erasmus von Rotterdam, hat
denn auch dadurch, daß er sein philologisches Können auf das Studium der
Bibel verwandte, jene Ausgabe des Neuen Testamentes im Urtext zustande
gebracht, ohne die das Wirken Luthers und Zwinglis wie auch Calvins kaum
denkbar ist. Von beiden Richtungen der Reformation, der deutschen wie der
schweizerischen, ist Nassau wesentlich beeinflußt worden. Graf Johann war
es, der in Weiterentwicklung der lutherischen Reform die Lehren Calvins in
seinem Lande unter niederländischem Einfluß zur Geltung brachte.
Schon in der Zeit, als die Nachrichten von dem wüsten Treiben der caL
vinistischen Bilderstürmer und Aufwiegler in Deutschland allgemeinen Un<
willen und Verurteilung hervorriefen, fand deren Vorgehen bei dem Grafen
eine andere Beurteilung, da die von seinen Brüdern ihm zugehenden Mel*
düngen ein anderes Licht auf diese Vorfälle warfen.6 Obwohl damals noch
streng luthersche Lehren sein Denken beeinflußten, so schien es ihm billig, für
die Aufständischen einzutreten und durch Aufklärungsschreiben die deutschen
Höfe besser zu unterrichten. Gleich seinen beiden Brüdern stellte er sich
auf die Seite der Aufständischen, und mochten ihn als Mitglied des Graten*
Standes schon ständische Ansichten erfüllen, so wurden sie unter dem aus den
Niederlanden ausgehenden Einfluß verstärkt, sodaß ihm die Alleinherrschaft
eines einzelnen, etwa des Kaisers, als eine unbillige Anmaßung erschien, wie
sie allein bei den Mohammedanern und Moskowitern zu finden sei. 7 Ihm, der
mit Luther eigentlich dem Gebot des Apostels Paulus gemäß: „Jedermann sei
untertan der Obrigkeit“ sein Verhalten gegenüber dem höchsten Haupte des
Reiches hätte regeln müssen, wurden infolge der Gespräche, die er am Dillen*
burger Hofe mit den dorthin kommenden Unterhändlern führte, die Lehren
der Hugenotten von dem Gott wohlgefälligen Widerstand gegen die religions*
feindliche Staatsgewalt vertraut, gegen die man mit Waffengewalt zu streiten
berechtigt sei. Verstärkt wurde diese feindselige Haltung gegen das papi*
stische Oberhaupt des Reiches, als unter dem Einfluß der Niederländer sich
der Graf dem reformierten Kirchentum zugewandt und sich enger dem Kur*
fürsten Friedrich III. angeschlossen hatte. Diese Opposition gegenüber dem
„spaniolosierten“ Hause Oesterreich bestimmte des Grafen politische Tätig*
keit bis zum Lebensende, deren Ziel war, einen großen Bund aller reformierten
Staaten des In* und Auslandes zustande zu bringen, wie ihn sein Bruder
6 Archives I, 2. 1566, 18. 7.; 1. 9.; 21. 9.; 5. 10.
7 Archives I, Suppl. 1588.
Karl Wolf
Gegend, um als Weber dem zurückgebliebenen deutschen Webergewerbe
aufzuhelfen. Aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts kommen auch die
ersten Nachrichten, daß nassauisches Eisen durch niederländische Schiffe ver*
frachtet wurde. In Hessen aber setzte sich das brabantische Fürstenhaus fest,
dessen geschichtliche Aufgabe es wurde, dem weitern Vordringen des mäch*
tigen geistlichen Fürstentums Mainz ein Ziel zu setzen.
Welchen Einfluß die niederländische Malerei mit ihren Höchstleistun*
gen auf die westfälischen, nieder* und mittelrheinischen Malerschulen aus*
geübt hat, läßt sich an den Erzeugnissen jener Werkstätten leicht feststellen
Breiteten sich die genannten geistigen Bewegungen in der Periode aus,
die wir als die gotische bezeichnen, so bereiten die Schulen der Brüder vom
gemeinsamen Leben die Entwicklung der nächsten Kulturströmung, des Hu*
manismus, vor. Ihnen ist infolge ihrer von Deutschen zahlreich besuchten
Schulen und der von ihnen nach dem Reich gekommenen Gelehrten ein
weitgehender Einfluß auf das gelehrte Schulwesen im westlichen Deutschland
zuzuschreiben. Dadurch, daß ihr Erziehungsideal die Vereinigung von sa*
pientia und pietas (Wissen und Frömmigkeit) war, blieb der Humanismus
nördlich der Alpen im Gegensatz zum italienischen frei von der Abkehr
vom Christentum. Ihr berühmtester Schüler, Erasmus von Rotterdam, hat
denn auch dadurch, daß er sein philologisches Können auf das Studium der
Bibel verwandte, jene Ausgabe des Neuen Testamentes im Urtext zustande
gebracht, ohne die das Wirken Luthers und Zwinglis wie auch Calvins kaum
denkbar ist. Von beiden Richtungen der Reformation, der deutschen wie der
schweizerischen, ist Nassau wesentlich beeinflußt worden. Graf Johann war
es, der in Weiterentwicklung der lutherischen Reform die Lehren Calvins in
seinem Lande unter niederländischem Einfluß zur Geltung brachte.
Schon in der Zeit, als die Nachrichten von dem wüsten Treiben der caL
vinistischen Bilderstürmer und Aufwiegler in Deutschland allgemeinen Un<
willen und Verurteilung hervorriefen, fand deren Vorgehen bei dem Grafen
eine andere Beurteilung, da die von seinen Brüdern ihm zugehenden Mel*
düngen ein anderes Licht auf diese Vorfälle warfen.6 Obwohl damals noch
streng luthersche Lehren sein Denken beeinflußten, so schien es ihm billig, für
die Aufständischen einzutreten und durch Aufklärungsschreiben die deutschen
Höfe besser zu unterrichten. Gleich seinen beiden Brüdern stellte er sich
auf die Seite der Aufständischen, und mochten ihn als Mitglied des Graten*
Standes schon ständische Ansichten erfüllen, so wurden sie unter dem aus den
Niederlanden ausgehenden Einfluß verstärkt, sodaß ihm die Alleinherrschaft
eines einzelnen, etwa des Kaisers, als eine unbillige Anmaßung erschien, wie
sie allein bei den Mohammedanern und Moskowitern zu finden sei. 7 Ihm, der
mit Luther eigentlich dem Gebot des Apostels Paulus gemäß: „Jedermann sei
untertan der Obrigkeit“ sein Verhalten gegenüber dem höchsten Haupte des
Reiches hätte regeln müssen, wurden infolge der Gespräche, die er am Dillen*
burger Hofe mit den dorthin kommenden Unterhändlern führte, die Lehren
der Hugenotten von dem Gott wohlgefälligen Widerstand gegen die religions*
feindliche Staatsgewalt vertraut, gegen die man mit Waffengewalt zu streiten
berechtigt sei. Verstärkt wurde diese feindselige Haltung gegen das papi*
stische Oberhaupt des Reiches, als unter dem Einfluß der Niederländer sich
der Graf dem reformierten Kirchentum zugewandt und sich enger dem Kur*
fürsten Friedrich III. angeschlossen hatte. Diese Opposition gegenüber dem
„spaniolosierten“ Hause Oesterreich bestimmte des Grafen politische Tätig*
keit bis zum Lebensende, deren Ziel war, einen großen Bund aller reformierten
Staaten des In* und Auslandes zustande zu bringen, wie ihn sein Bruder
6 Archives I, 2. 1566, 18. 7.; 1. 9.; 21. 9.; 5. 10.
7 Archives I, Suppl. 1588.