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Künstler-Gesellschaft Zürich [Editor]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 32.1872

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Das Leben des Architekten Ferdinand Stadler von Zürich
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https://doi.org/10.11588/diglit.43123#0021
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Nun aber schien es, als ahne er, sein Lebensziel sei bald erreicht. Er ging an das Ordnen seiner Zeichnungen
und seiner Norizen und begann seine Neiserinnerungen auszuarbeiten. Nach vollbrachten Tagewerk Pflegte er gerne
einige Abendstunden im Kreise einiger guter Freunde zuznbringcn, in welchen er oft einen unübertrefflichen Humor
mitbrachte. War es vielleicht auch eine Todesahnung, wenn er sich in diesem Kränzchen wiederholt aussprach, er
gedenke nächstens wieder eine große Reise zu machen? Hing es wohl auch damit zusammen, daß er sein Haus, das"
er bewohnte, vernüethete und im Sinne hatte ein anderes zu beziehen, das sich in unmittelbarer Nähe der Woh-
nungen seiner nächsten Anverwandten befand? Bezog es sich vielleicht auch auf seinen nahen Abschied von dieser
Welt, als er im Januar 1870 verschiedene kleinere Freundeskreise zu sich einlud in das bald zu verlassende Hans,
um ihnen noch eine „Ausränke" zu geben. Wir wissen es nickt. Aber wenn dein so war, wenn unser lieber Freund
befurchten mußte, sein Lebensfaden werde die ihm zugeschriebene Länge bald erreicht haben, so zeugt dieses Zurück-
halten trüber Gedanken voll einem Zartsinne, von einer fröhlichen Religiosität, von einer Herzensgüte, die nicht ganz
sicher begründete Befürchtungen lieber stillschweigend für sich behält, als seiner Umgebung Unruhe und Besorgniß
einflößt und von einer bedächtigen Vorsorge, die wenigstens handeln will, damit auch für den schlimmsten Fall
nichts versäumt sei. — Eine Erkältung, die er sich zuzog, hatte eine Lungenentzündung zur Folge, die begünstigt
durch die im vorigen Jahre im Libanon durchgemachtcn Strapazen und die daher rührenden mehrfachen Störungen
dersonst kräftigen Gesundheit bald einen gefährlichen Charakter annahm, so daß weder die ärztliche Kunst, noch die
liebevollste und umsichtigste Pflege im Stande waren, das Ende seines Lebens noch weiter hinaus zu schieben. Stadler
starb am 24. März 1870, am nämlichen Tage, auf welchen die Einweihung der von ihm restaurirten Stiftkirche in
Neuenburg angesetzt war.
Als Architekt hatte Stadler der Gaben Fülle erhalten und hat dieselben mit eisernem Willen und unermüd-
Jichem Fleiße redlich ausgebildet. Durch seine Wohnhausbauten weht ein Hauch frischer Originalität und doch ist
ihm vorgeworfen worden, seine Kunstreisen seien architektonische Raubzüge gewesen. Wir dürfen diese Behauptung
entschieden als eine ungerechte zurückweiscn. Durchgehen wir seine Vorbereitungsarbeiten für diese Wanderungen, so
finden wir eine Masse historischer, geographischer, ethnographischer und sprachlicher Studien. Betrachten wir seine
Bemerkungen und Skizzen, die er von seinen Fahrten nach Hause brachte, so beziehen sich die ersteren in der Regel
auf allgemeine culturhistorische Wahrnehmungen und die letztem sind eine Sammlung meist interessanter, selten praktisch
verwendbarer Kunst- und Architekturbilder. — Wenn er sich herbei ließ, in Zürich Bauten in fremdem, orientali-
schen Geschmacke auszuführen, so müssen wir dieß eher als einem Ausfluß einer momentanen Laune, als einen Geißel-
hieb gegen das langweilig einförmige Philisterthum anseheu, als an ernsthafte Verwerthung von Neiseausbeute denken.
— Seine Kirchen und Staatsgebäude athmen Religiosität uud Patriotismus. Es siud dieselben wahre Muster ein-
facher Schönheit. Ein reiner kirchlicher und bürgerlicher Sinn vom lautersten Wasser spricht aus ihrem Aeußern
und Innern zu jedem Beschauer. Es sind ächt republikanische Gebäude, bei deren Entwerfung der Genius der Kunst
vereint mit naturwüchsiger Vaterlandsliebe den Stift geführt hat. „Im Einfachen das Schöne," war das Motto,
das Stadler als Republikaner und als Künstler auf seine Fahne geschrieben. Möge dieser Sinn als lebendiges
Erbe auf seine Nachwelt übergehen und noch manches empfängliche Gemüth im Schweizerlaude Gelegenheit finden,
sich an Bauwerken zu Hebei: und zu freuen, die Stadlers Ideen verkörpern!
Wir aber, seine Frennde, haben in Stadler einen edeln Menschen, einen aufrichtigen ungeschminkten Charakter
verloren. Erschien er uns auch oft als ein ungeschliffener Diamant, so durften wir nur auf den reinen Kern seiner
Seele blicken, um innigste Freude zu empfinden. Nicht so leicht wurde es vem weiter:: Publikum gemacht. Stadler
war kein Weltmann von feinen Manieren und geschmeidigem Wesen. Wirft er sich doch selbst vor, er sei in seinen
Urtheilen oft bitter, in seinem Benehmen unfreundlich und wenig leutselig gewesen. Einsamkeit und Einfachheit liebte
er mehr als rauschende Vergnügungen. Der Ernst des Lebens sprach ihn mehr an, ohne ihn jedoch für die Freude
unempfänglich zu machen. Und wie innig frente er sich an den Schönheiten der Natur, der Kunst und des Geistes.
Alle seine Auffassungen hatten einen poetischen Zug und ging ihm selbst die Lebendigkeit uud Gewandtheit im Aus-
 
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