Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 36.1876

DOI Heft:
Johann Friedrich Dietler, Maler
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43127#0007
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
A
2

dichte Schicht schwer lastender Erde durchzuarbeiten, bis es an’s Licht und vor der Menschen Augen
trat. In den Städten der reformirten Schweiz, wo die Mittel zum Patronat der Kunst am ehesten vor-
handen gewesen wären, war die strenge kirchliche Richtung einer liebenden Pflege der Kunst lange Zeit
entschieden ungünstig, und die einfache, von den Vätern überkommene Lebensweise auch der Begüterten
liess auf der andern Seite allen Luxus, soweit er nicht etwa die Würde des öffentlichen Lebens zu
erhöhen diente, als auffallend und unnöthig erscheinen. Die katholischen Orte aber waren meistentheils
zu arm, um der Kunst die Hallen ihrer Kirchen zu edler Ausstattung eines reichen, prunkenden Gottesdienstes
zu öffnen. Nichtsdestoweniger sprosste auch in diesem ungünstigen Boden da und dort ein Talent auf,
in den Städten und auf dem Lande, aber Ins es zur eigenen Erkeuntniss gekommen, bis es Gönner und
Anerkennung gefunden, galt es einen langen und harten 'Weg zu machen, der noch bis in die neuere
Zeit meist durch des Handwerkers Werkstatt hindurchgieng. Dass diese Verhältnisse schwer, zu schwer
auf manchem lasteten und den Geist oft herunterdrückten, der in freier Luft einen höheren Flug
genommen, wir läugnen es nicht; aber auf der andern Seite ist vielen diese harte Lehrzeit zu bleibendem
Nutzen für Kunst und Charakter geworden. Sie gab beiden'eine sichere Unterlage, dem Künstler einen
Fond von technischen Kenntnissen, die unschätzbare Gewohnheit der regelmässigen Arbeit und das liebe-
volle Verständniss für die Natur, die bei dem Mangel an genügendem Unterricht und edeln Vorbildern
als Lehrmeisterin voll und ganz zur Geltung kommen konnte ■— dem Manne die innere Reife, Stählung
der Willenskraft, Einfachheit der Bedürfnisse. Waren die Verhältnisse eng, so hatten sie dafür einen
soliden Boden; Zucht, Ehrbarkeit und christliche Sitte galt etwas in den Familien und die einfachen
Lebensgewohnheiten stellten die häuslichen Finanzen auf gute Grundlage.
Durchlesen wir aufmerksam die ganze Folge der 73 Biographien, welche in den Neujahrsblättern
der Künstlergesellschaft uns aufbewahrt sind, so muss es jedem auffallen, wie bestimmt die berührten
Verhältnisse der grossen Mehrzahl unserer schweizerischen Künstler ihren Stempel aufgedrückt haben.
Es sind solche darunter, die den grössten Theil ihrer Lebenszeit im Auslande zugebracht und die
ersten Stellen in der modernen Malerei eingenommen haben, und dennoch, auch sie können die Heimath
nicht verläugnen. Vom Gold der Kunstbeschützer überschüttet, bleiben sie den alten einfachen Gewohn-
heiten treu, in den üppigen Hauptstädten der Welt wissen sie wenig von ihren Versuchungen zum
Müssiggang und zur Liederlichkeit, die Menge der Bestellungen verändert nichts an der Sorgfalt und
Gewissenhaftigkeit ihrer Arbeit und ist es im Leben Feierabend geworden, so kehren die meisten auch
wieder in’s Vaterland heim zur verdienten Ruhe.
Hätten wir kein sicheres Denkmal von den Leistungen der schweizerischen Kunst, so dürften
wir uns dessen freuen, was hier über die Männer aufgezeichnet steht, welche sie gepflegt und zu
Ehren gezogen haben.
Johann Friedrich Dietler, dessen Bild in diesen Zeilen an uns vor überziehen soll, ist der wahre
Typus des Schweizerkünstlers vom alten Schnitt, wie wir ihn kurz zu zeichnen versuchten. Aus engen,
dürftigen Verhältnissen stammend, eroberte er sich durch eigenes unermüdliches Schaffen einen hervor-
ragenden Platz in der Reihe der schweizerischen Maler, aber im Wohlstand wie in der Armuth, als
unbekannter Anfänger, wie im Glanz des Ruhmes, blieb er derselbe bescheidene, einfache, treue Mann,
wie er uns aus dem dieser Lebensskizze vorgesetzten Selbstporträt entgegenblickt.
Wer so wie Dietler mit dem Glück gerungen, so ernst wie er in gährender Zeit studirt und am
Abend des Lebens auf eine so lange Zeit des Wirkens zurücksehen konnte, dessen eigene Aufzeichnungen
 
Annotationen