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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 36.1876

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Johann Friedrich Dietler, Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.43127#0006
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w enn es uns bis jetzt an einer allgemeinen Geschichte der neuern schweizerischen Kunst,
vorab der Malerei, gefehlt und kein gelehrter Professor es gewagt hat, ihre Leistungen zusammengefasst
vor Mit- und Nachwelt in’s rechte kritische Licht zu stellen, so mag diess, abgesehen von dem Seiten-
blick auf die Sprödigkeit des schweizerischen Büchermarktes, von der einfachen Beobachtung
herrühren, dass unsere heimische Kunst keinen selbstständigen, bestimmten Weg gegangen ist, und dass
die ausgeprägte Sonderung der verschiedenen Theile unsers Landes der Kunst keinen einheitlichen natio-
nalen Charakter aufdrücken konnte. Wollten wir den Entwicklungsgang der einzelnen schweizerischen
Künstler verfolgen, so hätten wir bald nach Paris, bald nach Italien, und dann wieder nach München
und Düsseldorf, zu reisen und unser Werk über schweizerische Malerei müsste sich unwillkürlich zu
einer Schilderung aller der manigfaltigen Strömungen erweitern, welche die moderne Kunst im A us 1 an d e
seit 100 Jahren bewegt haben.
Bei solchen Schwierigkeiten ist es wahrscheinlich, dass wir noch einige Zeit auf diese moderne
schweizerische Kunstgeschichte zu warten haben; um so erkenntlicher werden wir inzwischen für das
reiche biographische Material sein, das uns aufbewahrt ist und namentlich in den Neujahrsblättern der
zürcherischen Künstlergesellschaft sich zusammengefasst findet. Vielen von diesen Biographien liegen
Selbstaufzeichnungen der Künstler zu Grunde, meist aber legte der Freund dem Freunde diese Blätter
als Denkzeichen auf’s frische Grab, und aus ihnen athmet nicht nur die Bewunderung für die Leistungen
des Verstorbenen, sondern auch der Schmerz um den Verlust des edlen Freundes, des trefflichen Mannes,
des wackern Bürgers. Diese persönliche, familiäre Seite der Lebensschilderungen in unsern Neujahrs-
blättern mag für das künstlerische Urtheil zunächst weniger wesentlich erscheinen, w i r möchten sie nm
keinen Preis vermissen, und es will uns bedünken, dass, wenn unsere schweizerischen Maler in ihrem
künstlerischen Schaffen vielerlei Wege gegangen sind, das Gemeinsame, Nationale dafür in den allgemeinen
Zügen der Persönlichkeit auffallend hervortritt.
Die äussern Verhältnisse in unserm Vaterlande, das niemals reich wie andere Länder, wie Hol-
land, Frankreich, England, Spanien und Italien gewesen, konnte auch der Kunst nur einen dürftigen
Boden gewähren, der mehr nüchtern verständige, auf das praktische und nützliche gerichtete Sinn der
Bewohner kam ihr selten mit Enthusiasmus entgegen und das junge keimende Talent hatte sich durch eine
 
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