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Die Neue Kunst in Deutschland — 1.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.48834#0015
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HENRI BARBUSSE:
VORWORT ZU DEM MAPPENWERK „DER KRIEG“ VON DIX:
Der diese Bilder des Grauens sich aus Hirn und Herzen riß und nun vor uns aus-
breitet, stieg in den letzten Schlund des Krieges. Ein wahrhaft großer deutscher Künstler,
unser brüderlicher Freund Otto Dix schuf hier in grellen Blitzen die apokalyptische Hölle
der Wirklichkeit!! Man sage nur nicht, er übertreibe. Das ist die ewige Ausrede der
Ängstlichen, die spüren, daß sie der Wucht eines Werkes nicht gewachsen sind; der Be-
quemen, die das Wort Krieg schon in ihrer Behaglichkeit stört.
Man kann den Krieg gar nicht übertreiben. Man kann seinen ganzen Schrecken
nicht einmal mehr fassen, begreifen, selbst wenn man ihn am eigenen Leibe verspürte.
Vor der Größe, der Wucht dieses Erlebnisses versagt unsere Vernunft. Die Seele vermag
ihn nicht zu umspannen und zerbricht wie eine Wage unter dieser ungeheuerlichen Überbe-
lastung. Mit dem Kriege ergeht es uns wie mit den astronomischen Begriffen: Man mag sich
tausendmal vorsagen, ein Stern braucht Lichtjahrhunderte, um das Weltall zu durch-
eilen .... die Augen aufreißen vor dem Gewimmel der Nullen hinter den Ziffern, die da
Entfernungen oder Mengen von Sternen bedeuten .... Diese Formeln bleiben stumpf
und erwecken keinerlei Vorstellung. Genau so, nämlich fast abstrakt, wird ewig der
Krieg auf unsere Sinne, unsere Vorstellungskraft wirken. Denn was soll ich mir unter
der Tatsache denken, daß im letzten Kriege fünfzehn Millionen Männer getötet wurden?
Vor solcher Wirklichkeit zerbricht der schwache menschliche Verstand.
Und erst der Schrecken der Todesqualen, der grauenhaften Verwundungen! Welche
Gestalt nahm der Tod an, grausig, voll unfaßbarer Barbarei, als er auf die Männer losge-
lassen ward, die „dabei waren“ und nun wie Würmer in der Erde sich wanden und wie
Wahnsinnige gegen die Gräben stürmten! Da wird nicht mehr mit Pfeil und Schwert
gekämpft. Unförmige Brocken zerhackten Eisens, Gas, Feuer, Gift .... das sind heute
die Waffen. Fortschritt der Wissenschaft und Technik, höllische Erfindungen, verruchte
Entdeckungen spielten mit den Leibern der Armen, die zerquetscht, verschüttet, von
Bomben zerrissen, von Tanks zermalmt, von Flammen überschüttet wurden .... gesunde
Leiber, in denen noch ein Hirn dachte, ein Herz schlug! Das ist kein Angsttraum, sondern
die Wahrheit. Hätte ein Mensch all die wüsten Gräben durchwandert, ohne vor Er-
schöpfung umzukommen, in denen länger als vier Jahre die Heere begraben einander
gegenüber lagen .... hätte er sich Schritt für Schritt durch dieses Meer von Fäulnis durch-
gearbeitet . . . unter den Leichen andere und weiter tiefer wieder nur noch Leichen gefunden:
sein Erlebnis wäre tausendfach grauenhafter, unsagbarer noch als diese tragische Reihe
von Bildern, die Otto Dix vor uns entrollt. Auch er müßte gestehen, daß dieser Künstler
im rechten Augenblick erschien, um uns aufzurütteln mit diesen Szenen aus dem Kriege.
Ja, es ist eine gute, eine segensreiche Tat, wenn ein begabter und ehrlicher Mensch
vor aller Augen den Schrecken malt, wie er war. Wie immer man das Problem des Krieges
drehen und wenden mag, eines steht fest und es gibt kein Argument gegen diese Tatsache:
wenn die Menschen wüßten .... sie würden nie wieder anfangen! Dummheit und . . .
was aufs gleiche hinausläuft, Vergeßlichkeit sind hier Sünde und Verbrechen. Ein Ver-
brechen auch dieses ständige Leugnen und Ausweichen .... „Ach, reden wir nicht mehr von
diesen Greueln!“ Dieses Schweigen würde nichts anderes bewirken, als daß die Ereignisse
sich wiederholen .... wenn es noch möglich wäre, nicht mehr von ihnen zu sprechen,
heute, da die Aufmerksamkeit der Völker geweckt und geschärft ist. Und deshalb gebührt
diesem Künstler alle Ehre, der die Greuel der Verwüstung zu einer schrecklichen Vision
formte, die wir nie wieder vergessen können.

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