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Die Neue Kunst in Deutschland — 1.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.48834#0004
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Die Kunsthandlung Karl Nierendorf, Berlin W 50, eröffnet in Düsseldorf Ausstellungs-
räume, die der heutigen deutschen Kunst dienen sollen.
Im Westen ist die Verehrung der französischen Impressionisten und alles dessen, was
mit ihrer Malkunst zusammenhängt, traditionell. Aber noch mächtiger ist dort der
Wille mit der Zeit zu gehen und das zu fördern, was lebenskräftig und zukünftig ist, was
dem Rhythmus dieses tatkräftigen Westlandes und damit vorbildlich dem deutschen
Wesen der Gegenwart überhaupt entspricht. Hier entstanden die ersten und größten
Sammlungen wahrhaft zeitgeprägter und gewählter Kunst, und die Pflicht, den lebenden
Künstler von heute zu unterstützen, wurde hier seit Osthaus’ unvergeßlichem Wirken
am ersten empfunden und befolgt.
Diese Neigung aber findet heute den fruchtbarsten Gegenstand nicht in der „peinture“
unserer westlichen Nachbarn, sondern in der lebendigen deutschen Kunst. Ohne
allen Chauvinismus ist zu sagen, daß heute die Malerei, Skulptur und Architektur in
Deutschland weiter gelangt ist und engere Fühlung mit dem Pulsschlag des modernen
Lebens gefunden hat als in Frankreich. Aestheten wird allerdings die schöne Erscheinung
des Salonbildes, wie sie an der Seine gepflegt wird, größere Entzückungen geben; ja gerade
die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, von Cezanne über Matisse und den Kubismus
bis zu dem neuen Klassizismus eines Derain und Picasso scheint berufen, die Kultur des
schönen Wandschmuckes bis zum letzten Raffinement zu treiben. Der gallische Esprit,
die Vollkommenheit der Form ist es, die auch bei uns vielfach besticht und im Sammel-
wesen wie im Kunsthandel eine feste Grundlage gefunden hat.
Diesen feinen, dekorativen Werken gegenüber steht in ungemeiner Mannigfaltigkeit
und Expansionskraft die deutsche, die nordische Kunst seit dem Auftreten des bahn-
brechenden Genies, seit EDVARD MUNCH. Hier wird nicht eine Verfeinerung der Bild-
form erstrebt, sondern eineSynthese neuer Inhalte und Empfindungen, die aus der Tiefe
lebendigen Daseins quellen, in Verbindung mit unerhörten Neuerungen der Form.

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