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Die Neue Kunst in Deutschland — 1.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.48834#0005
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Diese nordische Kunst scheint nur formlos beim Vergleich mit französischem Formalis-
mus : in Wahrheit ist sie Gestaltung, d. h. Formwerdung unseres gesamten Lebens. Sie durch-
mißt alle Möglichkeiten neuer Wirkung vom rein Inhaltlichen bis zur reinen Abstraktion.
Munch selbst fand den bleibenden Ausdruck für die seelische Not, die Lebensängste und
mythische Naturdämonie des modernen Menschen; seine Bilder aus den neunziger Jahren,
seine gewaltigen Graphiken sind klassisch, geworden als Prägung dieses Seelenkampfes
von Menschen, die sich nicht heimisch fühlen in der Welt der Sichtbarkeit.
Auf Munch folgen die norddeutschen Maler, die dem Kampf der Lebenden mit den
Urelementen des Genies Ausdruck verliehen und darum Ausdruckskünstler heißen sollten.
Irreführend ist dagegen die zum Schlagwort gewordene Bezeichnung Expressionismus.
Es war eine Zeit allgemeiner Abwendung vom Materialismus und seiner Diesseitigkeit;
zu erinnern ist an die Entdeckung des Seelischen in der Literatur und Wissenschaft. (Die
Verwandtschaft von Munch mit Strindberg!)
Die Führer der neuen künstlerischen Bewegung in Deutschland sind:
EMIL NOLDE, dessen Werk vom tragischen Ernst der religiösen Darstellung bis
zur Stimmung jeder erdenklichen Landschaft und zur heitersten Groteske alle Register
künstlerischer Gestaltung umspannt; CHRISTIAN ROHLFS, Blumen, Städtebilder
und menschliche Figuren in kristallinisches Gefüge leuchtender Farbenklänge spannend;
ERICH HECKEL, Menschen und Landschaft gleichermaßen dramatischen wie idylli-
schen Empfindungen unterwerfend; E. L. KIRCHNER, der alle Erscheinungen des
Lebens rauschhaft farbig, aufwühlend bis zum letzten Nerv, seinem großen
Temperament dienstbar macht; SCHMIDT-ROTTLUFF, in zyklopisch gewaltigen
Formen seine Welt gestaltend, ein Baumeister, der seine Bilder aus glutvoll strahlenden
Farbenblöcken auftürmt und damit die transcendente Gestaltung seiner inneren Gesichte
gewann; OTTO MUELLER mit immer gleicher Liebe und tiefem Empfinden für sinnliche
Anmut Menschen in der Natur darstellend und den leisen Hauch elegischer Idylle um
nackte Gestalten legend.

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