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Die Neue Kunst in Deutschland — 1.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.48834#0006
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[n enger geistiger Verwandtschaft steht zu den genannten: MAX BECKMANN, der
das Dasein nur von seiner Schattenseite betrachtet und in höllische Visionen bannt
durch die Gewalt einer straffen Konzentration von Körper und Raum. OSKAR KO-
KOSCHKA hatte sich anfangs mit tiefer Psychologie der Ergründung der Menschenseele
in gespenstischen Bildnissen ergeben; seit den letzten Kriegsjahren malte er mit flammend
starken Pigmenten Menschen und Landschaft, ein Adept von Rubens.
Dem Willen dieser Gruppe zum Ausdruck korrespondiert die Farbenromantik jener, die
in der Steigerung der farbigen Mittel das Ziel zu einer neuen, freudigen Interpretation
der Welt sehen. W. KANDINSKY ging mit Marc in der Eroberung der abstrakten Farben-
wirkung bahnbrechend voran. Im „Blauen Reiter“ schufen sie einen Mittelpunkt für die
jungaufstrebenden Talente in Süd- und Westdeutschland. Kandinsky befreite das Bild
völlig von allem Gegenständlichen und baute es allein auf musikalisch empfundenen
Farbenklängen auf. FRANZ MARC übertrug die Überwirklichkeit des Kolorits auf seine
zarten oder herrischen Darstellungen von Tieren, denen er durch Farbe, die nichts mehr mit
Natur zu tun hatte, gesteigertes Leben verlieh. HEINRICH CAMPENDONK verbreiterte
die Basis und überspann idyllisches Dasein des Dorfes und Waldes mit seinen lieblichen
Farbennetzen: Die alte Romantik des Rheinlandes erstand in seinen Visionen zu neuem
Glanz. PAUL KLEE schweifte gänzlich ins Reich der Träume hinüber; seine zarten
Aquarelle und kleinen Bilder sind nicht Paradigmen des Diesseits, sondern Spiegelungen
innerlicher Erlebnisse, Spaziergänge eines unendlich fein organisierten Geistes im Jenseits
der Wirklichkeit. Und GLEICHMANN vermittelte, ein melancholischer Grübler, zwischen
dem Zauber dieser Romantik und dem Ausdrucksbedürfnis jener, die ein festerer Zu-
sammenhang noch an die Erde bannt. FEININGER kristallisierte aus Architekturer-
lebnissen klar organisierte Gebilde.
LEHMBRUCK, der Duisburger, modellierte seine schönen Akte, die er mit einem zauber-
haften Rhythmus der Linien vergeistigte.
OTTO DIX aber und der große Satiriker GEORGE GROSZ wurden zu Kindern der
letzten Phase jener furchtbaren Kriegs- und Nachkriegszeit, deren Erbarmungslosig-
keit und Zynismus ihren Niederschlag in ihren grausamen Bildern und Zeichnungen fand.
Hier wirkt der deutsche Fanatismus der Wahrheit, wie ihn kein anderes Volk aufzuweisen
vermag. Hier spiegelt sich die Zeit selber in ihren Auswüchsen und Konvulsionen; hier
wird die Kunst zur Anklägerin mit einer grandiosen Geste der Fixierung von Tatsachen
ohne Scheu und ohne alle Verschönerung.
Dies ist, kurz umschrieben, das Gebiet, das Nierendorf sich erwählt hat und dem er
von Anbeginn an treu gewesen ist. Wir brauchen solche unbeirrbaren Vermittler unserer
wertvollsten Kulturgüter, die sich nicht weitschweifig in alle möglichen Spekulationen
auf bedenkliche „Könner“ einlassen, die Kunstwerke nicht vertreiben, weil und wie das
Publikum sie will: sondern die ein festes Programm haben und es mit voller
Überzeugung vertreten. Das Wollen jener deutschen und nordischen Künstler deckt
sich mit dem Programm dieses Kunsthändlers. Er ist überzeugt — wie wir überzeugt sind
— von dem bleibenden Wert und der überragenden Größe unserer gegenwärtigen deutschen
Kunst.
Ihm darum zu seinen Bestrebungen allen Erfolg zu wünschen, scheint mir notwendig
und erlaubt, weil ohne die Basis solchen Erfolgs auch die Blüte unserer jungen Kunst nicht
wohl gedeihen kann.
Dr. P. F. SCHMIDT,
Direktor der Stadt. Sammlungen, Dresden.

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