AUS DEN 100 APHORISMEN VON FRANZ MARC
Jedes Ding hat seinen Mantel und Kern, Schein und Wesen, Maske und Wahr-
heit Daß wir nur den Mantel umtasten ohne zum Kern zu gelangen, daß wir im
Scheine leben, statt das Wesen der Dinge zu sehen, daß uns die Maske der
Dinge so blendet, daß wir die Wahrheit nicht finden können, — was besagt das
gegen die innere Bestimmtheit der Dinge?
Die großen Gestalter suchen ihre Formen nicht im Nebel der Vergangenheit,
sondern loten nach dem wirklichen, tiefsten Schwerpunkt ihrer Zeit. Nur über
ihn können sie ihre Formen aufrichten. — Das dunkle Wort Wahrheit erweckt
in mir immer die physikalische Vorstellung des Schwerpunktes. Die Wahrheit
bewegt sich stets, wandelbar wie der Schwerpunkt, sie ist immer irgendwo, nur
niemals auf der Oberfläche, niemals im Vordergrund. — Wahrheit ist auch nie
Erfüllung, Realität, künstlerische Gestalt, sondern das Primäre, der Gedanke,
religionsgeschichtlich ausgedrückt: das „Wissen um das Heil", das stets der
Gestalt, d. i. der Kunst und der „Kultur" vorausgeht.
Ich sah das Bild, das in den Augen des Teichhuhns sich bricht, wenn es unter-
taucht: die tausend Ringe, die jedes kleine Leben einfassen, das Blau der flüstern-
den Himmel, das der See trinkt, das verzückte Auftauchen an einem andern Ort, —
erkennt, meine Freunde, was Bilder sind: das Auftauchen an einem andern Ort.
Aus: Franz Marc, Briefe, Aufzeichnungen und Aphorismen, Paul Cassirer, Berlin
Jedes Ding hat seinen Mantel und Kern, Schein und Wesen, Maske und Wahr-
heit Daß wir nur den Mantel umtasten ohne zum Kern zu gelangen, daß wir im
Scheine leben, statt das Wesen der Dinge zu sehen, daß uns die Maske der
Dinge so blendet, daß wir die Wahrheit nicht finden können, — was besagt das
gegen die innere Bestimmtheit der Dinge?
Die großen Gestalter suchen ihre Formen nicht im Nebel der Vergangenheit,
sondern loten nach dem wirklichen, tiefsten Schwerpunkt ihrer Zeit. Nur über
ihn können sie ihre Formen aufrichten. — Das dunkle Wort Wahrheit erweckt
in mir immer die physikalische Vorstellung des Schwerpunktes. Die Wahrheit
bewegt sich stets, wandelbar wie der Schwerpunkt, sie ist immer irgendwo, nur
niemals auf der Oberfläche, niemals im Vordergrund. — Wahrheit ist auch nie
Erfüllung, Realität, künstlerische Gestalt, sondern das Primäre, der Gedanke,
religionsgeschichtlich ausgedrückt: das „Wissen um das Heil", das stets der
Gestalt, d. i. der Kunst und der „Kultur" vorausgeht.
Ich sah das Bild, das in den Augen des Teichhuhns sich bricht, wenn es unter-
taucht: die tausend Ringe, die jedes kleine Leben einfassen, das Blau der flüstern-
den Himmel, das der See trinkt, das verzückte Auftauchen an einem andern Ort, —
erkennt, meine Freunde, was Bilder sind: das Auftauchen an einem andern Ort.
Aus: Franz Marc, Briefe, Aufzeichnungen und Aphorismen, Paul Cassirer, Berlin