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Zürcher Kunstgesellschaft [Hrsg.]
Neujahrsblatt / Zürcher Kunstgesellschaft — 58.1898

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Professor Ernst Gladbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.43117#0012
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vor und zeigte daran, wie er so etwas beginne, erzählte von Mathseus Merian, seinem
Hauptlehrmeister, schleppte einen alten Band von dessen Topographie heran und konnte
nicht fertig werden, die Schönheiten und Eigenheiten der berühmten Stiche zu er-
klären. Und während er so in der liebenswürdigsten Art schon gleich eine Art Stunde
gab, betrachtete ihn der Schüler etwas näher. Er war lang, mager und etwas vorge-
beugt, aber noch ungemein rüstig für einen starken Sechziger; nur die vielen Falten
des Gesichtes und das rötliche, sehr ins Graue spielende Haar verrieten etwas das Alter.
Für seine Kunst war er voll jugendlichen Enthusiasmus und dabei im Wesen so liebens-
würdig und herzlich, dass der schüchterne Besuch gleich anfangs schon die Scheu vor
dem «berühmten Manne», wie er ihn sich vorgestellt hatte, verlor. — Und als er ihn
in den Pantoffeln und die lange Pfeife im Munde herunterführte, die Tannenzapfen
zeigte, die er auf seinen Waldspaziergängen für den Winter zu sammeln begann —
«sie heizten so gut» — im Garten ihm eine späte Birne anbot, die am Spalier reifte,
und seinem «Mütterchen» den neuesten und jüngsten Schüler zeigte, — da kam diesem
alles vor wie eine Zeichnung von Ludwig Richter, und er hatte den sehnlichsten
Wunsch, mit solchen Menschen befreundet zu werden.
*
Die Stunden begannen und der Schüler freute sich jedesmal darauf. Mit Per-
spektive und Schattenkonstruktion wurde angefangen, um später angewandt perspek-
tivisch zu zeichnen. Perspektive ist aber ein schwieriges Fach für den Lehrer; es
genügt nicht, dass er sie absolut verstehe, es gehört auch ein grosses Darstellungs-
vermögen dazu, um sie andern klar zu machen — zumal wenn letztere mathematisch
ungenügend vorgebildet sind. Es zeigten sich bald grössere Schwierigkeiten, an deren
Erklärung er sich abquälte und die der Schüler trotz allen guten Willens nicht ver-
stand, — dann konnte er äusser sich geraten, auf den Tisch schlagen und schreien, um
im nächsten Augenblicke sich wieder aufs liebenswürdigste zu entschuldigen. Und
wenn auch der Schüler sich hierbei die Hauptschuld beimass, so hatte er doch instinktiv
das Gefühl, dass es auch etwas an der Art des Unterrichtes liege. War aber einmal
irgend ein Gegenstand fertig konstruirt, dann war es eine helle Freude zuzusehen, wie
ihn der alte Professor mit der grössten Liebe zu schattiren begann. War es ein Haus, so
wuchs gleich ringsherum ein Park in die Höhe, oder ein Blick auf die Alpen eröffnete sich
— alles spielend und in kürzester Zeit aus dem Kopfe hingezeichnet. — Als die Stunden
schon einige Zeit gedauert hatten, frug er den Schüler, ob er nicht einem seiner Söhne Nach-
hülfestunden im Latein geben wolle: Für zwei Stunden Latein solle er dann stets von
 
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