29
Mein Bruder war ein zärtlicher, sehr liebevoller Verwandter und Familienvater. Den
Seinen hinterliess er ein ansehnliches Vermögen, das er mehr durch stete Hinzufügung der
Erträgnisse des vom Vater Ererbten äufnete, als durch das was ihm seine Werke eintrugen.
Letzteres genügte gerade für den Unterhalt der Familie. Zeitlebens aber hielt er auf genaueste
Ordnung und Sparsamkeit.
Antonio war äusserst belesen in der Geschichte, die er in seinen Mussestunden eifrig
studierte und worin er sich für das Schöne und Grosse begeisterte. Durch das viele Lesen
und den steten Gebrauch der toscanischen Redeweise war er dazu gelangt, seine Gedanken
ebenso schön, als klar auszudrücken; auch schrieb er vortrefflich, wobei nur zu bedauern ist,
dass er es mit der Schrift und den orthographischen Zeichen auch gar zu leicht nahm.
Seine Lebens¬
hinreissen. In den
weise war äusserst
einfach; er war sehr
mässig, hielt auf kor-
rekte Kleidung und
war, wenn auch etwas
zurückhaltend, höf-
lich im Umgang. Bei
seinem milden Sinn
machte er sich nie
irgend jemand zum
Feinde, und nie liess
er sich zum Zorn
ihn lieb hatten, in
wenn von Kennern
Widerwärtikeiten
und Stürmen des
Lebens, die ihm lei-
der nicht erspart blie-
ben , verschloss er
sein Leid in seinem
Innern und überliess
sich nur zu sehr
einer stummen mo-
ralischen Niederge-
schlagenheit, die mit-
anzusehen denen, die
der Seele wehe tat. Er sprach nicht viel; nur dann wurde er lebhaft,
der Künste über diese gesprochen wurde, besonders über diejenige, die
'Villa Ciseri in Florenz.
ihm, wie er sagte, angetraut war.
Antonio Ciseri war ein körperlich ziemlich rüstiger Mann von mehr als mittlerer
Grösse, sein Blick war sanft und ausdrucksvoll, der Mund schön, die Nase aber sass ihm
etwas schief im Gesicht, ganz wenig nach rechts gerichtet, was ihn oft veranlasste, darüber
zu scherzen und seine Vertrauten etwa zu harmlosen Spässen reizte.
Halb im Profil gesehen zeigte sich in seinem Gesicht etwelche Ähnlichkeit mit
Michelangelo, welche besonders auf dem von ihm selbst gemalten Bilde, das sich in den
Uffizien in Florenz befindet, dem Beobachter auffallen muss (siehe die Beigabe zu diesem
Neujahrsblatt).
Mein Bruder war ein zärtlicher, sehr liebevoller Verwandter und Familienvater. Den
Seinen hinterliess er ein ansehnliches Vermögen, das er mehr durch stete Hinzufügung der
Erträgnisse des vom Vater Ererbten äufnete, als durch das was ihm seine Werke eintrugen.
Letzteres genügte gerade für den Unterhalt der Familie. Zeitlebens aber hielt er auf genaueste
Ordnung und Sparsamkeit.
Antonio war äusserst belesen in der Geschichte, die er in seinen Mussestunden eifrig
studierte und worin er sich für das Schöne und Grosse begeisterte. Durch das viele Lesen
und den steten Gebrauch der toscanischen Redeweise war er dazu gelangt, seine Gedanken
ebenso schön, als klar auszudrücken; auch schrieb er vortrefflich, wobei nur zu bedauern ist,
dass er es mit der Schrift und den orthographischen Zeichen auch gar zu leicht nahm.
Seine Lebens¬
hinreissen. In den
weise war äusserst
einfach; er war sehr
mässig, hielt auf kor-
rekte Kleidung und
war, wenn auch etwas
zurückhaltend, höf-
lich im Umgang. Bei
seinem milden Sinn
machte er sich nie
irgend jemand zum
Feinde, und nie liess
er sich zum Zorn
ihn lieb hatten, in
wenn von Kennern
Widerwärtikeiten
und Stürmen des
Lebens, die ihm lei-
der nicht erspart blie-
ben , verschloss er
sein Leid in seinem
Innern und überliess
sich nur zu sehr
einer stummen mo-
ralischen Niederge-
schlagenheit, die mit-
anzusehen denen, die
der Seele wehe tat. Er sprach nicht viel; nur dann wurde er lebhaft,
der Künste über diese gesprochen wurde, besonders über diejenige, die
'Villa Ciseri in Florenz.
ihm, wie er sagte, angetraut war.
Antonio Ciseri war ein körperlich ziemlich rüstiger Mann von mehr als mittlerer
Grösse, sein Blick war sanft und ausdrucksvoll, der Mund schön, die Nase aber sass ihm
etwas schief im Gesicht, ganz wenig nach rechts gerichtet, was ihn oft veranlasste, darüber
zu scherzen und seine Vertrauten etwa zu harmlosen Spässen reizte.
Halb im Profil gesehen zeigte sich in seinem Gesicht etwelche Ähnlichkeit mit
Michelangelo, welche besonders auf dem von ihm selbst gemalten Bilde, das sich in den
Uffizien in Florenz befindet, dem Beobachter auffallen muss (siehe die Beigabe zu diesem
Neujahrsblatt).