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Zürcher Kunstgesellschaft [Hrsg.]
Neujahrsblatt / Zürcher Kunstgesellschaft — 60.1900

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I. Jugend und Lehrjahre. Erstes Schaffen (1821 - 1858)
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II. In Italien (1858 - 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43119#0039
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Endlich liess sich auch Hr. Imhoof seine Einlage durch Weckesser schaffen:
« Rom 1859» ist sie datiert. Bevor noch Gottfried Keller seinen - Hadlmib » geschrieben
(1877), hat hier Weckesser eine überaus reizende Illustration geliefert zu dem Gedicht-
ehen, das man « Der Brief» betitelt hat.
Bekanntlich enthält auch die sog. «Manessische» Liederhandschrift eine die Szene des
Gedichtchens darstellende Miniaturmalerei71); doch während die Dame dem Gedicht zufolge die
Kirche verlässt, ist sie auf dem Bild auf dem Wege dahin. In Weckessers Komposition sehen
wir wiederum richtig das Fräulein in nächtlicher Morgenfrühe aus der Kirche treten, wo sie der
Frühmesse beigewohnt; vor ihr her schreiten andere Kirchengänger. Links auf dem Bild ist an
der Kirchentür ein bettelnder Krüppel gelagert: ein Bettler, wie sie in Italien vor den Kirchen
ihren ständigen Aufenthalt haben, scheint Modell gesessen zu haben. Dem Bettler reicht das
mildtätige Fräulein mit der Linken aus dem nach mittelalterlicher Sitte umgehängten Geldbeutel
ein Almosen: wieder eine hübsche Zutat des erzählenden Malers! Hadlaub, jugendlich schön, als
Pilger verkleidet, den Hut im Rücken hängend, hat den Pilgerstab rechts an ein Madonnenbild
angelehnt und heftet der Dame seines Herzens den Brief ans Gewand. Wenn man da gar noch
die Worte liest: «Du guldne sunne min, es leit zu dinen füssen sm herze Hadeloib», so geht
der Illustrator entschieden zu weit, falls er hiebei nicht die Absicht hatte, die Naivität alter Minia-
turenmaler nachzuahmen. I111 Hintergrund ein mittelalterliches Städtebild, Häuser mit erleuchteten
Erkern, eines auch mit Treppengiebel, Kirchtürme, wie sie etwa St. Peter und Fraumünster in
Zürich haben u. s. w. — Dem Bildchen sind vier Strophen des Gedichtes von Hadlaub beigefügt 72).

II.
In Italien. (1858—1899.)
Das Jahr 1858 brachte in unseres Künstlers Erdenwallen einen bedeutsamen
Wendepunkt, wir treten damit in eine zweite Epoche seines Lebens ein. «Im Jahr
1858», schrieb er mir in einer kurzen autobiographischen Skizze vom 20. IV. 1898,
«wurde mein Wunsch nach Italien gehen zu können, durch meinen Gönner, Hrn.
Imhoof-Hotze, erfüllt, indem er mir ein Bild bestellte, das ich dort ausführen konnte.
Mein Aufenthalt in Rom war nur auf ein Jahr berechnet; ich hegte jedoch den
Wunsch, länger dort zu bleiben, und dass dieser über alles Erwarten erfüllt wurde,
ist daraus zu sehen, dass ich nun seit vierzig Jahren immer noch in der ewigen Stadt
weile.» Italien ist Weckessers zweite, sozusagen seine Künstlerheimat geworden; hier
bis zu seinem Lebensende im Junggesellentum verharrend, ist er als ein Römer
gestorben. — Im Mai des Jahres 1858, da nach Ablieferung des Stangabildes weitere
 
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