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Zürcher Kunstgesellschaft [Editor]
Neujahrsblatt / Zürcher Kunstgesellschaft — 1903

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Adolf Stäbli
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https://doi.org/10.11588/diglit.43207#0038
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Der Künstler, der so Bedeutendes schafft, muss auch als Mensch
seine grossen Seiten haben.
Wer Stäbli zum ersten Male sah, dem fielen wohl vor Allem seine
schönen Augen auf, die so voller Wohlwollen, voll innerer Herzens-
gute blickten. Es wurde einem warm ums Herz in seiner Nähe, und
dies Gefühl verstärkte und vertiefte sich, je länger man ihn kannte.
So war er denn auch unter den Kollegen ungemein beliebt. Er-
munternd und fördernd gegen die Anfänger, neidlos anerkennend
gegen die Bekannten, jedem persönlichen Strebertum und Cliquen-
wesen durchaus abhold, stand er mit allen auf bestem Fusse. War
ein Maler des Kreises mit einem Bilde besonders in Nöten, steckte er
zu sehr im «Moralischen», dass keiner mehr recht zu helfen wusste, so
hiess es stets als letztes Mittel: «Stab muss bei und den Armen im
Atelier besuchen.» Und Stäbli kam an, betrachtete sich eingehend
das Corpus delicti und wusste so viel Gutes und Schönes daran heraus-
zufinden, ja redete sich oft dermassen in eine ehrlich gemeinte Be
wunderung hinein, dass der unglückliche Maler wieder aufzuatmen
begann und mit neuem Mut weiter arbeitete.
Was ihm daneben aber auch alle Herzen der Kollegen gewann,
war sein schlichtes, bescheidenes Auftreten, das bei einem solchen
Können doppelt wohltuend wirkte. Er wusste sehr wohl, was er leistete;
trotzdem ist er stets der einfache, liebenswürdige Mensch geblieben.
Nichts lag ihm ferner als ein Hervordrängen seiner Person, als ein
Streben nach äusserer Anerkennung durch Titel und Orden. Als er
1894 in die Jury der internationalen Ausstellung gewählt wurde, leistete
er wohl die von ihm geforderte Arbeit — als aber die Feierlichkeit
der Eröffnung kam, womit gewöhnlich alle möglichen Ehrungen ver-
knüpft sind, machte er sich sachte aus dem Staube. Er schreibt
darüber: «1894. 4-Juli. Am 1. Juli war Eröffnung der Ausstellung
und statt derselben beizuwohnen, an der man als Juror im Frack
erscheinen muss, bin ich durchgebrannt zu meinen lieben Siegfrieds.»
Trotzdem hat ihn bald darauf das Geschick ereilt. Er erhielt den
Titel «Professor» und hat sich auch ehrlich darüber gefreut — durfte
er sich doch sagen, dass er ihn nur seinen Leistungen verdanke.
Die Schweizer Maler gaben ihm daraufhin ein kleines Fest. Es
war schon alles längst beisammen — nur er fehlte und hätte sich
vielleicht auch hier gedrückt, wenn er nicht von einigen gesucht und
beigebracht worden wäre. Dann aber wurde er fröhlich und aus-
gelassen, wie er es früher gewesen, und riss die ganze Gesellschaft
mit seinem Humor und Gesänge hin. Das Glanzstück war eine
 
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