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Dix, Otto [Ill.]
Ausstellung Otto Dix: Katalog mit Verzeichnis der gesamten Graphik bis 1925 — Veröffentlichungen des Kunstarchivs, Berlin, Band 2/​3: Berlin: Das Kunstarchiv Verlag, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.63099#0011
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Entdeckungen spielten mit den Leibern der Armen, die zerquetscht,
verschüttet, von Bomben zerrissen, von Tanks zermalmt, von
Flammen überschüttet wurden . . . gesunde Leiber, in denen ein
Hirn dachte, ein Herz schlug! Das ist kein Angsttraum, sondern
die Wahrheit. Hätte ein Mensch all die wüsten Gräben durch-
wandert, ohne vor Erschöpfung umzukommen, in denen länger als
vier Jahre die Heere begraben einander gegenüberlagen . . . hätte
er sich Schritt für Schritt durch dieses Meer von Fäulnis durchge-
arbeitet . . . unter den Leichen andere und weiter tiefer wieder nur
Leichen gefunden: sein Erlebnis wäre tausendfach grauenhafter, un-
sagbarer noch als diese tragische Reihe von Bildern, die Otto Dix
vor uns entrollt. Auch er müßte gestehen, daß dieser Künstler im
rechten Augenblick erschien, um uns aufzurütteln mit diesen Szenen
aus dem Kriege.
Als Andreas Latzkos Buch „Menschen im Kriege“ erschien, hieß
es auch, daß hier Fieber und Grauen die Grenzen der Wirklich-
keit sprengten und das Werk dieses genialen Dichters Literatur
eines Geisteskranken sei. Aber Latzko gab selbst in seinem Buche
die richtige Antwort: Angesichts der Verheerungen des modernen
Krieges erscheinen die Wahnsinnigen vernünftig.
Ja, es ist eine gute, eine segensreiche Tat, wenn ein begabter und
ehrlicher Mensch vor aller Augen den Schrecken malt, wie er war.
Wie immer man das Problem des Krieges drehen und wenden mag,
eines steht fest und es gibt kein Argument gegen diese Tatsache:
wenn die Menschen wüßten ... sie würden nie wieder anfangen!
Dummheit, und was aufs gleiche hinausläuft, Vergeßlichkeit sind
hier Sünde und Verbrechen. Ein Verbrechen auch dieses ständige
Leugnen und Ausweichen . . . „Ach reden wir nicht mehr von
diesen Greueln!“ Dieses Schweigen würde nichts anderes be-
wirken, als daß die Ereignisse sich wiederholen . . . wenn es noch
möglich wäre, nicht mehr von ihnen zu sprechen, heute, da die Auf-
merksamkeit der Völker geweckt und geschärft ist. Und deshalb
gebührt diesem Künstler alle Ehre, der die Greuel der Verwüstung
zu einer schrecklichen Vision formte, die wir nie wieder vergessen
können.

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