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Neuwirth, Joseph
Mittelalterliche Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein in Böhmen — Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens, 1: Prag: J. G. Calve'sche k.u.k. Hof- und Universitäts-Buchhandlung Koch, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.49511#0030
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Verschwanden dieselben auch bei den Restaurierungsarbeiten unter Rudolf II., in welchen nicht nur die Über-
tünchung der Marienkirche, sondern auch die Bemalung aller vier Kirchenwände mit Scenen aus dem alten und neuen
Testamente angeführt erscheint, zum größten Theile vollständig, so ist man doch durch den erfreulichen Umstand, dass man
1857 bei einer Restauration der Kirche unter den Bildern der rudolfinischen Zeit auf Reste der alten Gemälde stieß, die
allmählich mit Sorgfalt bloßgelegt wurden, immerhin noch jetzt in die Lage versetzt, eine klare Vorstellung von der
ganzen Anordnung der Wandmalereien und ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung zu gewinnen.
Mit geringen Ausnahmen begnügte man sich bisher mit dem Hinweise, dass die Wände der Karlsteiner Marien-
kirche mit Darstellungen der Apokalypse geziert seien,1) welche Kugler »fragmentarisch, mit einzelnen großartig giottesken
Figuren« nennt3) und Woltmann zwar als »zahlreiche aneinander gereihte Einzelbilder« bezeichnet,3) aber auffallender-
weise nicht im Einzelnen bestimmt. Selbst Frantz4) geht nicht über den Hinweis auf Kugler hinaus und nimmt von den
eigentlichen Deutungsversuchen Gruebers 5) und Sedläceks 6) gar keine Notiz. Allerdings ist die Deutung Gruebers voll-
ständig aus der Luft gegriffen und ungenau; denn es handelt sich weder um eine eigenthümliche Verbindung der Marien -
legende mit der Apokalypse noch an der Südwand um eine Darstellung der Widmung des Schlosses Karlstein und der
Marienkirche. Ebenso wenig stehen Karl und Bianca vor einem Altartische, um Reliquien und kostbare Gefäße aufzu-
stellen, geschweige denn dass sie dabei durch einen jugendlichen Mann unterstützt werden. Ganz anders tritt Sedläcek
an die Deutung der Bilder im Anschlüsse an das Schriftwort7) heran, das er freilich nicht nach den erhaltenen oder
ergänzten Inschriften mittheilt; obzwar er dasselbe, wie weiter unten bei den einzelnen Darstellungen berührt werden soll,
infolge dieses Mangels durchaus nicht überall in richtiger Verbindung heranzieht und auch die Erklärung des schwerer
Beschädigten und Fragmentarischen in keiner Weise anstrebt, hat er doch zuerst den Weg betreten, auf welchem allein
ein Verständnis und eine Würdigung der Karlsteiner Apokalypsescenen gefunden werden kann. Sie können in gut erhaltene,
in fragmentarische und in solche geschieden werden, die nur nach Inschriftenresten bestimmbar, aber verloren ge-
gangen sind.

Der Bilderschmuck der Marienkirche vertheilt sich, da die Nordwand unter Rudof II. niedergerissen und erst vor
kurzem wieder erneuert wurde, auf die Süd-, Ost- und Westwand und wird nach unten durch eine scheinbar theilweise
mit gespannten Teppichen verkleidete Architekturbemalung, die gothische Hallen mit geradem Gebälk bietet, in etwas
mehr als Manneshöhe sockelartig abgeschlossen. Die Ostwand, noch am reichsten geziert, zeigt zwei Bilderreihen,
welche in schmalen Längsstreifen sich über die ganze Wandfläche hinziehen und durch Überschriften sowie einzelne
zwischen den Bildern herablaufende Inschriftenstreifen erläutert werden; die unterhalb der unteren Bilderreihe vom Nord-
ostwinkel bis zum Südostwinkel sich erstreckende Inschrift dient nicht der Bildererklärung selbst, sondern dem allgemeinen
Hinweise auf die Apokalypse, aus deren Anfangscapitel mehr als ein Drittel mitgetheilt wird.

Dagegen können an der Südwand theils Reste apokalyptischer Wandbilder, theils nach Inschriftenbruchstücken
wenigstens das ehemalige Vorhandensein anderer mit ihnen in Zusammenhang stehenden Darstellungen nachgewiesen
werden. Links von dem Südwandfenster befindet sich unter dem Inschriftenstreifen einer verlorenen Lobpreisung des
Lammes durch die vier Thiere und die vierundzwanzig Ältesten (1) die schwer beschädigte Darstellung der vier akopalyp-
tischen Reiter (2), indes rechts vom Fenster neben dem Mauervorsprunge nach Bildfragment und Inschrift der das
Rauchfass auf dem Altäre ausschüttende Engel (3) als mit der Lösung des siebenten Siegels verbunden schließen lässt,
dass die heute bewurflose Mauerfläche der Südwand einst die mit der Öffnung des fünften und sechsten Siegels in
Beziehung stehenden Bilder (4 und 5) zierten.
Die neun Scenen der sechs durch herablaufende Inschriftenstreifen getrennten Ostwandbilder8) bieten in der
oberen Reihe eine in sich vollständig abgeschlossene Darstellung der verschiedenen Momente des zweiten Wehes, mit
dessen Eintritt die Inschrift der ersten Scene genau anhebt, mit dessen Ende jene der neunten abbricht; sie veranschau-
lichen, von links nach rechts laufend, folgende Vorgänge: I. Der oben die Posaune blasende sechste Engel löst die vier
Engel des Euphrat (1), während das reisige Zeug auf den Rossen mit Löwenrachen und Schlangenschwänzen über und
gegen Menschen heransprengt (2); II. Johannes verschlingt das ihm vom Engel dargereichte Buch (3); III. Johannes misst
den Tempel (4); Die beiden Zeugen Ellias und Henoch vor der Volksmenge (5); IV. Die Überwältigung derselben durch
das aus dem Abgrunde aufsteigende Thier (6); V. Die Leichen der beiden Zeugen (7); VI. Das Herabschweben des
Geistes des Lebens zu Elias und Henoch (8) und der Eintritt des Erdbebens (9).

!) Pass avant, Uber die mittelalterliche Kunst in Böhmen und Mähren. Zeitschrift für christl. Archäologie und Kunst. I. Band (Leipzig 1856)
S. 204. — Janitschek, Geschichte der deutschen Malerei. (Berlin 1890) S. 202. — Waagen, Handbuch der Geschichte der Malerei- 1. Bd.: Die
deutschen und niederländischen Malerschulen. 1. Abth, (Stuttgart 1862) S- 55. -— Schn aase, Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter. 6. Bd.
(Düsseldorf 1874) S. 442. — 2) Kugler, Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, II. S. 497. — 3) Woltmann, Buch der Malerzeche in

Prag. S. 44. — Geschichte der Malerei I. S. 395 noch knapper. — 4) F i
S. 184. — 5) Grueber, Kunst d. Mittelalters in Böhmen III. S. 66 u. f. —
suchte es bereits Z a p, Kollegialnf chräm Panny Marie s kapli sv. Kateriny
Grade. — 8) Waagen, Die deutschen und niederländischen Malerschulen, S.
welche er als eine »Verehrung des Antichrist« erklären möchte-

antz, Geschichte der christlichen Malerei. II. Bd. (Freiburg i. Br. 1894)
6) Sedläcek, Karlstein a. a. O. S. 14 u. 15. — 7) Vor Sedläcek ver-
na Karlsteine a. a. O. S. 339 und 340, allerdings in weit beschränkterem
55 meint mit ihnen offenbar die größere, ihm nicht deutliche Vorstellung,

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